Leitsatz
Wird der ursprünglich beigeordnete Rechtsanwalt entpflichtet und ein neuer Rechtsanwalt beigeordnet, so hat dieser grundsätzlich einen Anspruch auf sämtliche Gebühren, die während seiner Beiordnung ausgelöst worden sind. Gebühren, die der zuerst beigeordnete Anwalt aus der Staatskasse erhält, dürfen gegenüber dem neuen Anwalt nur angerechnet werden, wenn dies im Beiordnungsbeschluss ausdrücklich angeordnet worden ist.
OLG Hamm, Beschl. v. 4.11.2009 – II – 1 WF 267/09
I. Der Fall
Der bedürftigen Partei war zunächst ein Rechtsanwalt beigeordnet worden, der dann auf ihr Betreiben hin später entpflichtet wurde. An dessen Stelle wurde ein neuer Rechtsanwalt im Rahmen der Prozesskostenhilfe beigeordnet. Eine Einschränkung enthielt der Beiordnungsbeschluss nicht. Nach Abschluss des Verfahrens beantragte der neu beigeordnete Anwalt die Festsetzung sämtlicher während seiner Beiordnung entstandener Gebühren und Auslagen. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle setzte diejenigen Gebühren und Auslagen ab, die bereits bei dem ersten beigeordneten Anwalt entstanden waren. Die hiergegen erhobene Beschwerde hatte schließlich Erfolg.
II. Die Entscheidung
Der Umfang der Vergütung des Anwalts ergibt sich aus dem Beiordnungsbeschluss
Der Umfang der Vergütung, die der beigeordnete Anwalt aus der Staatskasse erhält, ergibt sich gem. § 48 RVG aus den Beschlüssen, nach denen er beigeordnet ist. Enthält der Beiordnungsbeschluss – wie hier – keine Einschränkung, dann muss die volle gesetzliche Vergütung, die bei dem beigeordneten Rechtsanwalt entstanden ist, aus der Staatskasse gezahlt werden.
Anrechnung bei Anwaltswechsel nur, wenn im Beiordnungsbeschluss angeordnet
Im Falle eines Anwaltswechsels dürfen daher Vergütungen, die bereits an einen zuvor beigeordneten Anwalt gezahlt worden sind, nicht angerechnet werden, wenn dies nicht ausdrücklich angeordnet worden ist.
III. Der Praxistipp
Will die bedürftige Partei den Anwalt wechseln, so ist zu differenzieren:
Bei wichtigem Grund uneingeschränkte Beiordnung eines neuen Anwalts
Liegt ein wichtiger Grund für den Anwaltswechsel vor (z.B. Tod des Anwalts), dann muss der neue Anwalt uneingeschränkt beigeordnet werden, auch wenn dadurch Mehrkosten entstehen.
Soweit in diesem Falle bei dem ersten Anwalt ein Verschulden vorliegt, kann die Landeskasse nach § 54 RVG dessen Vergütungsanspruch Einwendungen entgegenhalten.
Ohne wichtigen Grund keine uneingeschränkte Beiordnung eines neuen Anwalts
Besteht kein wichtiger Grund, dann kommen eine Entpflichtung des beigeordneten Anwalts und die Beiordnung eines neuen Anwalts grundsätzlich nicht in Betracht, da hierdurch Mehrkosten zu Lasten der Staatskasse entstehen.
Etwas anderes gilt, wenn der neue Anwalt sich bereit erklärt, mit der Maßgabe eingeschränkt beigeordnet zu werden, dass er sich diejenigen Gebühren anrechnen lässt, die bereits bei dem zuvor beigeordneten Anwalt angefallen sind. Damit wird vermieden, dass die Landeskasse Mehrkosten zu zahlen hat.
Der Anwalt kann in diesem Fall allerdings die Gebühren, die er aus der Landeskasse nicht erhält, vom Mandanten verlangen. Nur im Umfang der Beiordnung darf er den Auftraggeber nicht in Anspruch nehmen (§ 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO). Wird er eingeschränkt beigeordnet, dann darf er im Rahmen der Einschränkung den Auftraggeber unmittelbar in Anspruch nehmen.
Bei fehlender Einschränkung muss Staatskasse voll zahlen
Liegt kein wichtiger Grund für einen Anwaltswechsel vor, entpflichtet jedoch das Gericht den zunächst beigeordneten Rechtsanwalt und ordnet es – wie hier – fehlerhaft den neuen Anwalt uneingeschränkt bei, dann muss die Staatskasse beide Anwälte zahlen. An bestandskräftige Beiordnungsbeschlüsse (selbst wenn sie falsch sind) ist auch die Staatskasse gebunden.