Leitsatz
Bei einer Untätigkeitsklage richtet sich die Verfahrensgebühr auch dann nach dem höheren Rahmen der Nr. 3102 VV, wenn der Anwalt im vorangegangenen Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren tätig war.
SG Frankfurt, Beschl. v. 17.11.2009 – S 26 SF 300/09
I. Der Fall
Nach erfolgreichem Abschluss einer Untätigkeitsklage gem. § 88 SGG hatte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die Verfahrensgebühr der Nr. 3102 VV lediglich nach dem ermäßigten Rahmen der Nr. 3103 VV festgesetzt. Die hiergegen erhobene Erinnerung hatte Erfolg.
II. Die Entscheidung
Maßgebender Gebührenrahmen ist strittig
Ob bei einer Untätigkeitsklage und vorangegangenem Tätigwerden des Rechtsanwalts im Verwaltungs- und/oder Widerspruchsverfahren der volle Rahmen der Nr. 3102 VV oder der ermäßigte Rahmen der Nr. 3103 VV zur Anwendung kommt, ist nach wie vor strittig. Das Gericht hält unter Verweis auf die Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen (Beschl. v. 13.11.2008 – L 20 B 59/08 SO, AGS 2008, 550 = ZFE 2008, 436) den Gebührenrahmen der Nr. 3102 VV für einschlägig. Der Eintritt einer Arbeitserleichterung als Begründung für die Heranziehung des Gebührentatbestandes der Nr. 3103 VV (Synergieeffekt) kann nach dieser Entscheidung nur dann angenommen werden, wenn Gegenstand des außergerichtlichen und des gerichtlichen Verfahrens die Abwehr oder der Erlass desselben Verwaltungsaktes ist, wenn also der gleiche Lebenssachverhalt zugrunde liegt, der die gleiche Prüfung der materiellen Rechtslage erfordert. Voraussetzung für den Anfall der Gebühr nach Nr. 3103 VV ist demnach, dass Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ein Verwaltungsakt ist, der bereits Gegenstand des Verwaltungsverfahrens und/oder Widerspruchsverfahrens war, in dem der Rechtsanwalt tätig gewesen ist.
Sozialrechtliche Untätigkeitsklage ist bloße Bescheidungsklage
Die Untätigkeitsklage ist aber als formelle Bescheidungsklage auf die bloße Bescheidung eines Antrags oder Widerspruchs gerichtet, so dass der Sondertatbestand der Nr. 3103 VV nicht eingreift.
Diese Begründung ist formal, verfahrensrechtlich überzeugend. Die Kammer folgt der Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen, auch wenn sich praktisch gesehen durchaus insoweit ein Synergieeffekt ergibt, als der Rechtsanwalt aus dem vorhergehenden Verwaltungs- bzw. Widerspruchsverfahren Kenntnis über die Fristen, die nach § 88 SGG laufen, und gegebenenfalls auch darüber hat, ob besondere Umstände die Bescheidung durch die Behörde nachvollziehbar verzögern.
III. Der Praxistipp
Zu beachten ist, dass die sozialrechtliche Untätigkeitsklage nach § 88 SGG eine reine Bescheidungsklage ist. Das Gericht entscheidet also nur darüber, ob die Behörde verpflichtet ist, den Widerspruch zu bescheiden. In der Sache selbst entscheidet das Gericht nicht. Es verhält sich hier anders als bei der verwaltungsrechtlichen sog. „Untätigkeitsklage“, die tatsächlich gar keine ist, sondern eine gewöhnliche Hauptsacheklage, bei der lediglich wegen des Zeitablaufs auf das Vorliegen eines Widerspruchsbescheides verzichtet wird. Entschieden wird hier in der Sache.
Nr. 3103 VV ist keine eigene Gebühr
Zu beachten ist, dass Nr. 3103 VV keinen eigenen Gebührentatbestand darstellt. Die Gebühr richtet sich immer nach Nr. 3102 VV. Die Vorschrift der Nr. 3103 VV ist lediglich eine Vorschrift, die den Gebührenrahmen der Nr. 3102 VV ermäßigt.
Ebenso den Gebührenrahmen der Nr. 3102 VV angenommen haben:
- SG Berlin ASR 2005, 40 m. Anm. Weber;
- SG Gießen ASR 2009, 246.