Anrechnungsfälle nach dem RVG
Anrechnungsfälle kommen in Angelegenheiten nach Teil 3 VV häufig vor. So wird die vorgerichtlich entstandene Geschäftsgebühr der Nr. 2300 VV gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren angerechnet; die Verfahrensgebühr des Mahnverfahrens wird auf die Verfahrensgebühr des streitigen Verfahrens angerechnet (Anm. zu Nr. 3305 VV); die Verfahrensgebühren von selbstständigem Beweisverfahren und Hauptsachverfahren werden aufeinander angerechnet (Vorbem. 3 Abs. 5 VV), die Verfahrensgebühr vor Zurückverweisung wird auf die Verfahrensgebühr nach Zurückverweisung angerechnet (Vorbem. 3 Abs. 6 VV) etc.
Berechnung der Postentgeltpauschale
In diesen Fällen ergeben sich bei geringen Gebührenbeträgen Probleme, wie die Postentgeltpauschale der Nr. 7002 VV zu berechnen ist, also ob sie aus dem Gebührenaufkommen vor Anrechnung zu ermitteln ist oder aus dem Gebührenaufkommen nach Anrechnung. Der Unterschied wirkt sich immer dann aus, wenn das Gebührenaufkommen nach Anrechnung unter 100,00 EUR liegt. Das liegt daran, dass die Postentgeltpauschale 20 % der gesetzlichen Gebühren beträgt, höchstens jedoch 20,00 EUR.
Gebührenaufkommen ab 100,00 EUR
Sobald die Gebühren einen Betrag in Höhe von 100,00 EUR erreichen, ist der Höchstbetrag der Pauschale angefallen, sodass weitere Gebührenbeträge nicht mehr zu einer Veränderung der Postentgeltpauschale führen.
Gebührenaufkommen unter 100,00 EUR
Bei Gebührenbeträgen unter 100,00 EUR wird dagegen der Höchstbetrag nicht erreicht, sodass es auf die Höhe der Gebühren ankommt.
Gebührenaufkommen in Anrechnungsfällen
Bleibt nach einer Anrechnung das Gebührenaufkommen über 100,00 EUR, dann ist der Höchstbetrag der Pauschale ohnehin erreicht, sodass sich keine Probleme ergeben. Reduziert sich infolge der Anrechnung dagegen das Gebührenaufkommen auf unter 100,00 EUR, dann wird die volle Pauschale nicht erreicht. Im Extremfall kann dies sogar dazu führen, dass nach Anrechnung gar keine Gebühren mehr verbleiben, sodass sich die Postentgeltpauschale auf 0,00 EUR belaufen würde.
Beispiel
Der Anwalt ist beauftragt, eine Forderung in Höhe von 3.000,00 EUR außergerichtlich geltend zu machen. Da es zu keiner Einigung kommt, wird er beauftragt, einen Mahnbescheid zu beantragen, der dann auch erlassen wird.
Hinsichtlich der außergerichtlichen Tätigkeit soll von einer 1,5-Mittelgebühr nach Nr. 2300 VV ausgegangen werden. Dies ergibt folgende Berechnung:
I. Außergerichtliche Vertretung
1. |
1,5-Verfahrensgebühr, Nr. 2300 VV |
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(Wert: 3.000,00 EUR) |
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283,50 EUR |
2. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
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20,00 EUR |
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Zwischensumme |
303,50 EUR |
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3. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
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57,67 EUR |
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Gesamt |
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361,17 EUR |
Die angefallene Geschäftsgebühr ist jetzt zur Hälfte, höchstens mit 0,75 im nachfolgenden Mahnverfahren auf die dortige Verfahrensgebühr der Nr. 3305 VV anzurechnen (Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 VV). Dies bedeutet, dass der Anwalt des Gläubigers im Mahnverfahren letztlich nur noch einen Differenzbetrag in Höhe von 0,25 erhält. Berechnet man die Postentgeltpauschale nach diesem Differenzbetrag, ergibt sich folgende Berechnung:
II. Mahnverfahren
1. |
1,0-Mahnverfahrensgebühr, Nr. 3305 VV |
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(Wert: 3.000,00 EUR) |
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189,00 EUR |
2. |
anzurechnen gem. Anm. zu Nr. 3305 VV, 0,75 aus 3.000,00 EUR |
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-141,75 EUR |
3. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
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(Wert: 189,00 EUR – 141,75 = 47,25 EUR) |
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9,45 EUR |
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Zwischensumme |
56,70 EUR |
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4. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
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10,77 EUR |
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Gesamt |
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67,47 EUR |
Berechnet man dagegen die Postentgeltpauschale aus dem Gebührenaufkommen vor Anrechnung, wäre die volle Pauschale erreicht:
II. Mahnverfahren
1. |
1,0-Mahnverfahrensgebühr, Nr. 3305 VV |
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|
(Wert: 3.000,00 EUR) |
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189,00 EUR |
2. |
anzurechnen gem. Anm. zu Nr. 3305 VV, 0,75 aus 3.000,00 EUR |
|
-141,75 EUR |
3. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
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(Wert: 189,00 EUR) |
|
20,00 EUR |
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Zwischensumme |
67,25 EUR |
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4. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
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12,78 EUR |
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Gesamt |
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80,03 EUR |
Zutreffende Berechnungsmethode
Zutreffend ist die zweite Alternative. Nach dem Gesetz berechnet sich die Postentgeltpauschale aus den "Gebühren" – hier also aus einer 1,0-Gebühr – und nicht aus einem nach Anrechnung verbleibenden rechnerischen Differenzbetrag – hier restliche 0,25 einer Gebühr (KG AGS 2000, 125 = Rpfleger 2000, 238 = MDR 2000, 604 = KGR Berlin 2000, 267 =JurBüro 2000, 583; AG Kassel AGS 2007, 133 = JurBüro 2006, 592; LG Essen JurBüro 2002, 246 = BRAGOreport 2002, 39; AG Nürtingen AGS 2003, 395 = MDR 2003, 1204 = JurBüro 2003, 417; AG Siegburg AGS 2003, 348 = JurBüro 2003, 533; ausführlich AnwK-RVG/N. Schneider, 6. Aufl. 2012, Nrn. 7001 bis 7002 VV Rn 31; ebenso Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 19. Aufl. 2010, Nr., 7002 Rn 37; Enders/Schons/Hartung, RVG, Nr. 7002 VV Rn 22).
Das ist im Übrigen jetzt auch durch den neuen § 15a Abs. 1 RVG klargestellt worden. Danach hat eine Anrechnung auf das Entstehen einer Gebühr keinen Einfluss. Der Anwalt kann jede Gebühr vielmehr gesondert verlangen. Folglich b...