I. Überblick
Grundsätzlich keine Anrechnung im Kostenfestsetzungsverfahren
Grundsätzlich kann sich der Gegner im Kostenfestsetzungsverfahren nicht auf eine Gebührenanrechnung beim Antragsteller berufen. Da jede Gebühr selbstständig ist, kann die im Rechtsstreit obsiegende Partei also grundsätzlich die Festsetzung der vollen Verfahrensgebühr verlangen und zwar unbeschadet der Anrechnung einer eventuell zuvor entstandenen anzurechnenden Gebühr. Die frühere gegenteilige Auffassung einiger Senate des BGH ist durch die zum 5.8.2009 eingeführte Vorschrift des § 15a Abs. 2 RVG nicht mehr vertretbar. Der Erstattungspflichtige kann also vor allem nicht mehr – wie früher – einwenden, es sei auf Seiten des Erstattungsberechtigten zuvor eine anzurechnende Gebühr entstanden, daher seien die Kosten des Rechtsstreits um den anzurechnenden Betrag vermindert.
Anrechnung im Kostenfestsetzungsverfahren nur in drei Ausnahmefällen
Nur dann, wenn
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der Erstattungspflichtige selbst die anzurechnende Gebühr bereits gezahlt oder anderweitig erfüllt hat (1. Var.), |
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diese gegen ihn bereits tituliert ist (2. Var.) oder |
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die aufeinander anzurechnenden Gebühren gleichzeitig geltend gemacht werden (3. Var.), |
kann sich der Erstattungspflichtige nach § 15a Abs. 2 RVG auf die Anrechnung berufen.
Anwendungsfälle des § 15a Abs. 2, 2. Var.
Hauptanwendungsfall des § 15a Abs. 2, 2. Var. RVG ist die nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnende Geschäftsgebühr, soweit sie gegen den Beklagten im Erkenntnisverfahren tituliert worden ist. Der nach § 15a Abs. 2, 2. Var. RVG zu berücksichtigende Titulierungseinwand kann aber auch andere anzurechnende Gebühren betreffen, etwa die Verfahrensgebühr eines Mahnverfahrens (Nr. 3305 VV), die nach Anm. zu Nr. 3305 VV auf die Verfahrensgebühr eines nachfolgenden gerichtlichen Verfahrens anzurechnen ist, oder die Verfahrensgebühr eines Urkundsverfahrens, die im Nachverfahren oder im Verfahren nach Abstandnahme anzurechnen ist (Anm. Abs. 1 zu Nr. 3100 VV). Auch die Verfahrens- und Terminsdifferenzgebühren bei einem Mehrwertvergleich können anzurechnen sein (Anm. Abs. 1 zu Nr. 3101; Anm. Abs. 2 zu Nr. 3104 VV).
II. Anrechnung der im Erkenntnisverfahren titulierten Geschäftsgebühr
Geschäftsgebühr ist nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen
Die Geschäftsgebühr der Nr. 2300 VV ist gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV auf die Verfahrensgebühr eines nachfolgenden gerichtlichen Verfahrens anzurechnen. Soweit die Geschäftsgebühr im Erkenntnisverfahren gegen den Beklagten tituliert worden ist, kann er sich folglich nach § 15a Abs. 2, 2. Var. RVG im Kostenfestsetzungsverfahren auf die Anrechnung berufen.
Beispiel 1
Anrechnung der Geschäftsgebühr bei Titulierung
Der Beklagte ist verurteilt worden, die Klageforderung i.H.v. 8.000,00 EUR sowie eine dem Kläger daraus vorgerichtlich entstandene verzugsbedingte 1,3-Geschäftsgebühr zu zahlen.
Im Urteil tituliert und damit bereits aufgrund des Urteils vom Beklagten zu zahlen sind:
1. |
1,3-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV (Wert: 8.000,00 EUR) |
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592,80 EUR |
2. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
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20,00 EUR |
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Zwischensumme |
612,80 EUR |
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3. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
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116,43 EUR |
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Gesamt |
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729,23 EUR |
Der Beklagte kann sich gem. § 15a Abs. 2, 2. Var. RVG auf die Anrechnung berufen. Da er in der Hauptsache bereits zur Zahlung der Geschäftsgebühr verurteilt worden ist, kann von ihm im Kostenfestsetzungsverfahren nicht die volle 1,3-Verfahrensgebühr erstattet verlangt werden. Hier sind im Ergebnis lediglich noch 1,3 - 0,65 = 0,65 festzusetzen zuzüglich der weiteren Kosten des Rechtsstreits.
1. |
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV (Wert: 8.000,00 EUR) |
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592,80 EUR |
2. |
gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen, 0,65 aus 8.000,00 EUR |
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- 296,40 EUR |
3. |
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV (Wert: 8.000,00 EUR) |
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547,20 EUR |
4. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
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20,00 EUR |
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Zwischensumme |
863,60 EUR |
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5. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
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164,08 EUR |
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Gesamt |
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1.027,68 EUR |
III. Anrechnung der im Vollstreckungsbescheid titulierten Mahnverfahrensgebühr
Mahnverfahrensgebühr ist nach Anm. zu Nr. 3305 VV anzurechnen
Nach Anm. zu Nr. 3305 VV ist die Verfahrensgebühr eines Mahnverfahrens (Nr. 3305 VV) auf die Verfahrensgebühr eines nachfolgenden gerichtlichen Verfahrens anzurechnen. Auch hier kann es daher dazu kommen, dass eine anzurechnende Gebühr bereits tituliert ist, nämlich dann, wenn ein Vollstreckungsbescheid ergangen ist. Diese Anrechnung ist dann wiederum nach § 15 Abs. 2, 2. Var. RVG im Kostenfestsetzungsverfahren zu beachten (BGH AGS 2010, 621 = MDR 2011, 137 = Rpfleger 2011, 180 = JurBüro 2011, 80 = NJW 2011, 1368).
Beispiel 2
Anrechnung bei Titulierung im Vollstreckungsbescheid
Der Kläger hatte zunächst ein Mahnverfahren wegen einer Forderung i.H.v. 8.000,00 EUR eingeleitet und einen Vollstreckungsbescheid erwirkt. Dagegen hatte der Beklagte Einspruch eingelegt, sodass die Sache an das Streitgericht abgegeben wurde. Dort ist der Vollstreckungsbescheid aufrechterhalten worden. Die Kosten des Rechtsstreits wurden dem Beklagen auferlegt.
Durch den aufrecht erhaltenen Vollstreckungsbescheid sind bereits folgende Kosten tituliert:
1. |
1,0 Verfahrensgebühr, Nr. 3305 VV (Wert: 8.000,00 EUR) |
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456,00 EUR |
2. |
0,5-Ve... |