Leitsatz
Für die Erinnerung gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle beim Sozialgericht entsteht dem in der Hauptsache tätigen Anwalt keine gesonderte Vergütung. Diese Tätigkeit gehört vielmehr mit zum Rechtszug.
SG Chemnitz, Beschl. v. 10.7.2012 – S 14 SF 3/12 E
1 I. Der Fall
Nach erfolgreichem Abschluss des Rechtsstreits hatte der Kläger die Erstattung der ihm entstandenen Anwaltskosten begehrt und diese festsetzen lassen. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat dem Antrag nicht in vollem Umfang entsprochen und die angemeldeten Kosten zum Teil abgesetzt. Hiergegen hat der Kläger Erinnerung eingelegt und beantragt, ihm für das Erinnerungsverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Das SG hat den Antrag zurückgewiesen.
2 II. Die Entscheidung
Erinnerung sei keine gesonderte Angelegenheit
Das SG ist der Auffassung, dass der Antrag bereits deshalb unzulässig sei, weil im Erinnerungsverfahren gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle keine gesonderten Gebühren anfallen würden; nach § 18 Abs. 1 Nr. 3 RVG entstünden im Erinnerungsverfahren nur dann gesonderte Gebühren, wenn eine Entscheidung des Rechtspflegers angegriffen werde; im Gegensatz zu den zivilprozessualen Verfahren sei aber im sozialgerichtlichen Verfahren für die Kostenfestsetzung nicht der Rechtspfleger zuständig, sondern der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle; die gegen seine Festsetzungsentscheidung erhobene Erinnerung falle daher nicht in den Anwendungsbereich des § 18 Abs. 1 Nr. 3 RVG (so bereits für verwaltungsgerichtliche Verfahren AG Regensburg AGS 2005, 548 m. Anm. N. Schneider = RVGreport 2005, 384 = JurBüro 2005, 595); vielmehr gelte insoweit § 19 Abs. 1 S. 1 RVG (entsprechend § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 RVG), wonach Erinnerungen mit zum Rechtszug gehören und keine gesonderte Vergütung auslösen; ein Versehen des Gesetzgebers könne nicht angenommen werden; dies folge auch nicht aus der Existenz der Vorschrift der Nr. 3501 VV, die für ein Erinnerungsverfahren gesonderte Gebühren vorsieht.
3 III. Der Praxistipp
Erinnerung ist gesonderte Angelegenheit
Die Entscheidung des SG Chemnitz ist falsch und widerspricht der ganz überwiegenden Rspr. Es handelt sich nämlich tatsächlich um ein Versehen des Gesetzgebers, wie sich aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift ergibt.
Keine Änderung gegenüber BRAGO beabsichtigt
Nach der früheren Fassung des § 61 BRAGO waren sämtliche Erinnerungen gegen die Kostenfestsetzung als gesonderte Angelegenheiten zu behandeln, unabhängig davon, ob die Kostenfestsetzung vom Rechtspfleger durchgeführt wurde oder – wie vor den Gerichten der Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit – vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle. Das RVG wollte diese Regelung nicht ändern, sondern ausweislich seiner Begründung beibehalten. Der davon abweichende Wortlaut des § 18 Abs. 1 Nr. 3 RVG war dem Gesetzgeber bei der Formulierung der Vorschrift nicht bewusst.
H.M. sieht Erinnerung als gesonderte Angelegenheit an
Daher geht die ganz überwiegende Rspr. sowohl in der Verwaltungs- als auch in der Sozialgerichtsbarkeit davon aus, dass die Erinnerung im Rahmen der Kostenfestsetzung eine gesonderte Angelegenheit darstellt und damit auch eine gesonderte Vergütung auslöst.
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So für verwaltungsgerichtliche Verfahren: BVerwG AGS 2007, 406 = NVwZ-RR 2007, 717 = Rpfleger 2007, 595 = JurBüro 2007, 534 = BayVBl 2008, 91 = Buchholz 363 § 18 RVG Nr. 1 = RVGreport 2007, 342. |
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Für sozialgerichtliche Verfahren: SG Berlin RVGreport 2011, 101; AGS 2008, 88 = ASR 2008, 111 = RVGreport 2008, 22 = NJW-Spezial 2008, 93; SG Fulda ASR 2010, 87 = NZS 2011, 199; SG Karlruhe rv 2010, 120; SG Cottbus AGS 2011, 130. |
Angemessen ist i.d.R. doppelte Mindestgebühr
Hinsichtlich der Höhe der Verfahrensgebühr geht die Rspr. im Rahmen der Sozialgerichtsbarkeit davon aus, dass für eine Erinnerung im Kostenfestsetzungsverfahren in der Regel von der doppelten Mindestgebühr auszugehen ist, da die Tätigkeit im Erinnerungsverfahren von geringerer Bedeutung sei und keinen übermäßigen Aufwand erfordere (SG Berlin AGS 2012, 20).
Ausblick 2. KostRMoG: Klarstellung beabsichtigt
Dem Gesetzgeber ist zwischenzeitlich sein Versehen bewusst geworden. Daher hat er bereits eine Änderung des § 18 Abs. 1 Nr. 3 RVG in Angriff genommen. Die Vorschrift soll mit dem 2. KostRMoG folgende Fassung erhalten:
§ 18 Besondere Angelegenheiten
(1) Besondere Angelegenheiten sind
1. (…)
3. solche Angelegenheiten, in denen sich die Gebühren nach Teil 3 des Vergütungsverzeichnisses richten, jedes Beschwerdeverfahren, jedes Verfahren über eine Erinnerung gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss und jedes sonstige Verfahren über eine Erinnerung gegen eine Entscheidung des Rechtspflegers, soweit sich aus § 16 Nummer 10 nichts anderes ergibt …
Damit ist zukünftig klargestellt, dass der Anwalt auch in der Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit sowohl für die Erinnerung gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss als auch gegen den Kostenansatz eine gesonderte Vergütung erhält.