Leitsatz
Der Berufungsbeklagte hat grundsätzlich abzuwarten, bis die Berufungsbegründung vorliegt, bevor er einen Rechtsanwalt mit der Abwehr der Berufung beauftragt. Er ist jedoch berechtigt, nach Eingang der Berufung bereits anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die hierbei anfallende 1,1-Verfahrensgebühr nach den Nrn. 3200, 3201 VV ist dann erstattungsfähig.
OLG Naumburg, Beschl. v. 18.1.2012 – 10 W 67/11
1 I. Der Fall
Der Kläger hatte gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung eingelegt und diese später vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist zurückgenommen. Die Berufung war dem Anwalt des Beklagten zugestellt worden, der sich zwar noch nicht gegenüber dem Gericht bestellt hatte, die Berufung jedoch entgegengenommen, an den Mandanten weitergeleitet und diesen über das weitere Vorgehen unterrichtet hatte. Im nachfolgenden Kostenfestsetzungsverfahren beantragte der Kläger die Festsetzung einer 1,1-Verfahrensgebühr nach Nrn. 3200, 3201 VV. Der Kläger widersprach dem, da die Beauftragung eines Anwalts nicht notwendig gewesen sei; zudem hätte sich der Anwalt des Beklagten im Berufungsverfahren noch gar nicht bei Gericht bestellt. Das LG hat daraufhin die angemeldete Vergütung für das Berufungsverfahren abgesetzt. Die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde hatte Erfolg.
2 II. Die Entscheidung
Verfahrensgebühr wird bereits mit der Entgegennahme der Information ausgelöst
Dass der Prozessbevollmächtigte des Beklagten auch für das Berufungsverfahren mandatiert war, war ausweislich der vorgelegten Vollmacht unstrittig. Entstanden ist daher beim Prozessbevollmächtigten des Beklagten eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV, da die Verfahrensgebühr für das Betreiben des Geschäfts entsteht und nach dem eindeutigen Wortlaut bereits mit der Entgegennahme der Information ausgelöst wird (siehe Vorbem. 3 Abs. 2 VV).
Es entsteht lediglich die ermäßigte Verfahrensgebühr
Hier hatte der Prozessbevollmächtigte des Berufungsbeklagten die Berufung entgegengenommen und an den Mandanten weitergeleitet. Damit war er bereits im Berufungsverfahren tätig und hat die Verfahrensgebühr verdient. Dass sich der Anwalt noch nicht gegenüber dem Gericht bestellt hatte, ist für den Anfall der Gebühr unerheblich. Die Gebühr ist allerdings lediglich in Höhe von 1,1 angefallen, da sich die Tätigkeit für den Prozessbevollmächtigten des Beklagten erledigt hat, bevor ein Antrag gestellt worden war (Nr. 3201 Nr. 1 VV).
1,1-Gebühr ist erstattungsfähig
In dieser Höhe ist die Verfahrensgebühr auch erstattungsfähig. Zwar ist es nicht notwendig, einen Anwalt mit der Abwehr der Berufung zu beauftragen, solange diese nicht begründet ist, weil bis dahin gar nicht zu erkennen ist, inwieweit und mit welcher Begründung die vorinstanzliche Entscheidung angefochten werden soll. Eine nicht juristisch geschulte Partei empfindet die Situation nach Einlegung des Rechtsmittels für sich jedoch als bedrohlich, sodass sie berechtigt ist, sich insoweit anwaltlich vertreten und insbesondere beraten zu lassen. Diese Tätigkeit wird durch die Verfahrensgebühr mit abgegolten (§ 19 Abs. 1 RVG). Daher ist die angefallene 1,1-Verfahrensgebühr auch erstattungsfähig.
3 III. Der Praxistipp
Entscheidung entspricht der einhelligen Rspr.
Die Entscheidung entspricht der ganz einhelligen Rspr., insbesondere der des BGH. Sobald ein Rechtsmittel eingelegt ist, darf eine Partei sich anwaltlicher Hilfe bedienen. Erforderlich ist es in diesem Stadium allerdings noch nicht, einen Zurückweisungsantrag zu stellen, der die volle Gebühr auslöst. Ausreichend ist die bloße Beauftragung des Anwalts, der in diesem Rahmen dann auch die Partei wegen weiterer Schritte beraten kann.
Auch wenn dies nicht erforderlich ist, sollte sich der Anwalt des Berufungsbeklagten sofort nach Einlegung der Berufung bestellen.