Das Urteil des BGH zeigt auf, dass so manchem Rechtsanwalt nicht bekannt ist, unter welchen Voraussetzungen ihm für die vorgerichtliche Tätigkeit eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV anfällt, wenn er später in derselben Angelegenheit als Prozessbevollmächtigter tätig wird. Die für den Anfall der Geschäftsgebühr maßgeblichen Umstände sind in dem Schadensersatzprozess vorzutragen und im Streitfall zu beweisen.
1. Nach außen erkennbare Tätigkeit nicht maßgeblich
Für die im Fall des BGH entscheidungserhebliche Frage, ob den Prozessbevollmächtigten des Klägers für deren vorprozessuale Tätigkeit eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV angefallen ist, kommt es nicht auf die Anwaltstätigkeit an. Die nach außen hin erkennbare Tätigkeit der Rechtsanwälte, hier also die vorprozessuale Zahlungsaufforderung v. 13.11.2018, lässt nämlich nicht darauf schließen, ob den Anwälten ein Vertretungsauftrag erteilt worden ist, was zum Anfall der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV führt, oder ob die Anwälte diese Tätigkeit im Rahmen des ihnen bereits erteilten (unbedingten) Klageauftrags ausgeübt haben. Im letzteren Fall würde die Zahlungsaufforderung eine zum Rechtszug gehörende Vorbereitungshandlung nach § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 RVG darstellen und mit der später für die Prozessvertretung angefallenen Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV abgegolten sein.
2. Inhalt des Auftrags ist maßgeblich
Wie diese in beiden Fällen nach außen hin identische Tätigkeit der Rechtsanwälte – nämlich die vorprozessuale Zahlungsaufforderung v. 13.11.2018 – gebührenrechtlich einzuordnen ist, richtet sich – worauf der BGH zutreffend hingewiesen hat – nach dem den Anwälten im konkreten Fall erteilten Auftrag (so bereits BGH BGHZ 48, 334; BGH NJW 1968, 2334 jeweils zum Anfall der Geschäftsgebühr nach § 118 BRAGO). Dabei kann ein die Geschäftsgebühr auslösender Vertretungsauftrag auf folgende Weise erteilt werden.
a) Vertretungsauftrag
Entweder erteilt der Mandant seinem Rechtsanwalt nur den Auftrag, den Gegner durch außergerichtliche Bemühungen zur Zahlung zu veranlassen. Dann löst das Betreiben des Geschäfts (s. Vorbem. 2.3 Abs. 3 VV) die Geschäftsgebühr Nr. 2300 VV aus. Die Vorschrift des § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 RVG, wonach die Vorbereitung der Klage und damit auch ein vorprozessuales Aufforderungsschreiben zum Rechtszug gehört und daher durch die Verfahrensgebühr Nr. 3100 VV abgegolten wird, greift in einem solchen Fall nicht ein. In dieser Fallgestaltung ist dem Anwalt jedenfalls zum Zeitpunkt der Zahlungsaufforderung (noch) kein die Verfahrensgebühr auslösender Prozessauftrag erteilt worden.
b) Vertretungsauftrag und bedingter Prozessauftrag
Oder der Mandant erteilt seinem Rechtsanwalt von vornherein zwei Aufträge, nämlich einen Auftrag zur außergerichtlichen Vertretung und einen aufschiebend bedingten Prozessauftrag, dessen Bedingung erst eintritt, wenn die vorgerichtliche Tätigkeit des Anwalts nicht zu dem gewünschten Erfolg führt. Auch in diesem Fall kommt der vorerwähnte § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 RVG nicht zur Anwendung. Dem Anwalt ist zwar zum Zeitpunkt des Aufforderungsschreibens auch ein Prozessauftrag erteilt worden. Dieser stand jedoch unter der Bedingung (s. § 158 Abs. 1 BGB), dass die vorgerichtlichen Bemühungen des Rechtsanwalts keinen Erfolg gehabt haben. Dies stellt sich jedoch erst später und damit zu einem Zeitpunkt heraus, zu dem dem Rechtsanwalt für das Betreiben des Geschäfts, also u.a. für die Entgegennahme der Informationen des Mandanten, für dessen Beratung und für die Fertigung des Aufforderungsschreibens an den Gegner, längst die Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV angefallen ist.
c) Indizwirkung des Aufforderungsschreibens
Im Fall des BGH hatten die Prozessbevollmächtiget in ihrer Zahlungsaufforderung v. 13.11.2018 u.a. ausgeführt, dass Klage erhoben werde, falls innerhalb der gesetzten Frist keine Zahlung oder kein angemessenes Vergleichsangebot eingehe. Das OLG Karlsruhe hatte dies als Indiz gegen die Behauptung angesehen, den Rechtsanwälten des Klägers sei zunächst nur ein Mandat zur außergerichtlichen Vertretung oder nur ein bedingter Prozessauftrag erteilt worden. Der BGH hat diese Würdigung als rechtsfehlerfrei angesehen.
Ich habe so meine Bedenken, ob dies richtig ist. Zum einen kann aus einer Klageandrohung nicht zwingend gefolgert werden, dass dieser auch ein entsprechender – unbedingter – Prozessauftrag zugrunde liegt. Zum zweiten ist damit auch nicht gesagt, dass gerade den außergerichtlich tätigen Anwälten ein unbedingter Prozessauftrag erteilt worden ist. Es kommt zwar nicht häufig, aber doch gelegentlich vor, dass der Mandant für die spätere Prozessführung andere Rechtsanwälte ausgewählt hat als für die vorgerichtliche Vertretung. Zum dritten spricht gerade das vom BGH hier zum Beleg seiner Auffassung herangezogene Urteil des Senats v. 1.10.1968 – VI ZR 159/67, NJW 1968, 2334 gegen die Richtigkeit der Würdigung des OLG Karlsruhe. Dort führt der Senat unter I.2., juris Rn 14 aus:
Zitat
"Entscheidend für die Frage, ob der Rechtsanwalt von s...