Vorbem. 4 Abs. 3 S. 2; Nr. 4143 VV RVG
Leitsatz
- Die Terminsgebühr für einen geplatzten Termin nach Vorbem. 4 Abs. 3 S. 2 VV setzt nicht voraus, dass der Rechtsanwalt nur dann zu einem anberaumten Termin erschienen ist, wenn er im Gerichtsgebäude körperlich anwesend ist. Vielmehr steht auch dem nicht erschienenen Rechtsanwalt eine Terminsgebühr zu, wenn die Terminsabsage nicht so rechtzeitig erfolgt ist, dass dem Rechtsanwalt bei der gebotenen Flexibilität seiner Arbeitsorganisation nicht noch eine anderweitige Nutzung zumindest eines Großteils seiner für den Termin vorgesehenen Arbeitszeit ermöglicht ist.
- Eine Verfahrensgebühr Nr. 4143 VV ist nur entstanden, wenn die Prozessordnung überhaupt ein Adhäsionsverfahren vorsieht.
OLG Brandenburg, Beschl. v. 10.8.2022 – 1 Ws 22/22 (S)
I. Sachverhalt
Die Rechtsanwältin war Pflichtverteidigerin des Angeklagten. In dem Verfahren, in dem sie für den Angeklagten tätig geworden ist, hat die Hauptverhandlung vor der Strafkammer des LG Neuruppin als große Jugendkammer vom 5.5. 2021 bis zum 26.8.2021 stattgefunden. Es war für den 25.5.2021 ein Fortsetzungstermin bestimmt. Dieser Termin ist wegen plötzlicher Erkrankung eines Schöffen kurzfristig aufgehoben worden. Die Abladung erreichte die Pflichtverteidigerin telefonisch am Morgen jenes Sitzungstages in einem Hotel in Neuruppin, nachdem die in D. ansässige Rechtsanwältin anlässlich des Termins bereits am Vorabend angereist war.
Mit Schriftsatz vom 30.4.2021 hatte zudem der Nebenklägervertreter einen Adhäsionsantrag bei Gericht eingereicht. Mit Verfügung vom 3.5.2021 erteilte die Vorsitzende dem Nebenklägervertreter den rechtlichen Hinweis, dass eine Anwendung der Vorschriften über eine Entschädigung des Verletzten (§§ 403 bis 406c StPO) im Verfahren gegen Jugendliche gem. § 81 JGG nicht in Betracht komme. Mit gleicher Verfügung ordnete die Vorsitzende die (einfache) Übersendung der Antragsschrift und einer Abschrift des an den Nebenklägervertreter gerichteten rechtlichen Hinweises u.a. an die Pflichtverteidigerin zur Kenntnisnahme an. Mit Schriftsatz vom 3.5.2021 beantragte diese, den Adhäsionsantrag zurückzuweisen. Mit Beschl. v. 17.6.2021 hat die Strafkammer sämtliche Anträge der Angeklagten im Adhäsionsverfahren unter Hinweis auf § 81 JGG abgelehnt.
Im Rahmen der Vergütungsfestsetzung hat die Pflichtverteidiger u.a. die Festsetzung einer Terminsgebühr Nrn. 4120, 4121 VV für den am 25.5.2021 anberaumten, dann aber "geplatzten" Termin und die Festsetzung einer Verfahrensgebühr Nr. 4143 VV für das Adhäsionsverfahren beantragt. Diese Gebühren sind nicht festgesetzt worden. Die dagegen eingelegte Erinnerung der Pflichtverteidigerin hatte keinen Erfolg. Das OLG hat auf die Beschwerde die Terminsgebühr festgesetzt, i.Ü. aber die Beschwerde verworfen.
II. Terminsgebühr für den "geplatzten Termin" (Vorbem. 4 Abs. 3 S. 2 VV)
Nach Auffassung des OLG war die Terminsgebühr Nrn. 4120, 4121 VV für den am 25.5.2021 zu 10:00 Uhr anberaumten und erst am frühen Morgen des gleichen Tages abgesagten Hauptverhandlungstermin festzusetzen. Gem. Vorbem. 4 Abs. 3 S. 2 u. 3 VV erhalte ein Rechtsanwalt eine Terminsgebühr für die Teilnahme an gerichtlichen Terminen, soweit nichts anderes bestimmt ist. Die gerichtliche Terminsgebühr setze also grds. die Tätigkeit eines Rechtsanwalts u.a. in einer Hauptverhandlung nach Aufruf der Sache voraus und erfordere die Anwesenheit in seiner Eigenschaft als verfahrensbeteiligter Rechtsanwalt (vgl. Toussaint, Kostenrecht, 52, Aufl., 2022, VV 4106, 4107 Rn 7). Von dieser Regelung abweichend erhalte ein Rechtsanwalt die Terminsgebühr auch dann, wenn er zu einem anberaumten Termin erscheine, dieser aber aus Gründen, die er nicht zu vertreten hat, nicht stattfinde (Vorbem. 4 Abs. 3 S. 2 VV). Dies gelte nicht, wenn er rechtzeitig von der Aufhebung oder der Verlegung des Termins Kenntnis erlangt habe (Vorbem. 4 Abs. 3 S. 3 VV).
Die von der obergerichtlichen Rspr. bislang vorgenommene enge Auslegung dahingehend, dass ein Rechtsanwalt nur dann zu einem anberaumten Termin erschienen sei, wenn er im Gerichtsgebäude körperlich anwesend ist, greife – so der Senat – zu kurz (a.A. OLG München AGS 2008, 233 = RVGreport 2008, 109 = NStZ-RR 2008, 159 = JurBüro 2008, 418; AGS 2018, 339 = RVGreport 2018, 301 = AGS 2018, 339 = NStZ-RR 2018, 296; OLG Naumburg AGS 2020, 569 = JurBüro 2021, 245). In der Gesetzesbegründung heiße es:
Zitat
"Es ist kein Grund ersichtlich, warum der Verteidiger, der zur Hauptverhandlung erscheint, hierfür keine Gebühr erhalten soll. Er erbringt unter Umständen einen nicht unerheblichen Zeitaufwand schon zur Vorbereitung des Termins. Soweit dieser wegen des Nichtstattfindens der Hauptverhandlung gering ist, lässt sich dies ohne weiteres bei der Bemessung der Gebühr innerhalb des Gebührenrahmens berücksichtigen." (BT-Drucks 15/1971, 221).
Der Senat folge den Überlegungen des LG Magdeburg, wonach Sinn und Zweck der Eingrenzung auf den Rechtsanwalt, der "zu einem anberaumten Termin erscheint", ist, dass derjenige Rechtsanwalt von der Terminsgebühr ausgeschlossen sein soll, der ungeachtet der Terminsaufhebung zu...