ZPO §§ 91, 104; RVG VV Nrn. 2300, 3100
Leitsatz
- Die Entstehung einer Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV hat auf die Entstehung der Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV im nachfolgenden, denselben Gegenstand betreffenden Rechtsstreit keinen Einfluss. Die im Rechtsstreit entstandene Verfahrensgebühr gehört in vollem Umfang zu den Kosten des Rechtsstreits.
- Die in Vorbem. 3 Abs. 4 VV vorgeschriebene Anrechnung der Geschäftsgebühr mindert nicht die nach §§ 91, 104 ZPO festzusetzenden Kosten des Rechtsstreits. Sie betrifft den Vergütungsanspruch des bereits außergerichtlich mandatierten und tätig gewordenen Anwalts sowie einen hierauf bezogenen Erstattungsanspruch und kann gegenüber der Festsetzung des prozessualen Erstattungsanspruchs nach § 91 ZPO nur eingewandt werden, wenn wegen der Titulierung oder unstreitiger Erfüllung des materiellen Erstattungsanspruchs – insoweit – kein Anspruch auf Festsetzung nach §§ 103 ff. ZPO besteht (im Anschluss an Senat, Beschl. v. 17.7.2007–1 W 256/07 [= AGS 2007, 439] – und Beschl. v. 24.6.2008–1 W 111/08 [= AGS 2008, 473]; gegen BGH, 8. Zivilsenat, Beschl. v. 22.1.2008 – VIII ZB 57/07, NJW 2008, 1323 [= AGS 2008, 158], sowie, dem 8. Zivilsenat folgend, 1., 3., 4, 6. und 7. Zivilsenat).
KG, Beschl. v. 4.11.2008–1 W 395/08
1 Sachverhalt
Die Antragstellerin hatte mit anwaltlichem Abmahnschreiben vom 24.4.2008, dem die Antragsgegnerin mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 5.5.2008 und 8.5.2008 entgegengetreten ist, einen Anspruch auf Unterlassung von unlauterem Wettbewerb geltend gemacht. Den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 8.5.2008 hat das LG nach Anhörung der Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin mit Beschl. v. 27.5.2008 zurückgewiesen und der Antragstellerin die Kosten des Rechtsstreits auferlegt.
Mit dem angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss hat das LG, wie beantragt, gegen die Antragstellerin u.a. eine 1,3-Verfahrensgebühr gem. Nr. 3100 VV nach dem vom LG festgesetzten Verfahrenswert von 50.000,00 EUR festgesetzt. Die Antragstellerin macht geltend, unter Beachtung der Rspr. des BGH (NJW 2008, 1323) sei die den Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin für ihre prozessuale Tätigkeit entstandene Geschäftsgebühr nach einem Streitwert von 50.000,00 EUR in Höhe von 0,65 auf die Verfahrensgebühr anzurechnen und daher abzusetzen.
Die sofortige Beschwerde hatte keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen
Der Senat folgt der zitierten Rspr. des BGH nicht (s. bereits Beschl. v. 31.3.2008–1 W 111/08, AGS 2008, 216 = OLGR 2008, 560 = JurBüro 2008, 304; Beschl. v. 24.6.2008–1 W 111/08, OLGR 2008, 844). Die Rechtsbeschwerde ist daher zuzulassen.
1. Das LG hat zutreffend die Verfahrensgebühr von 1,3 nach dem Verfahrenswert von 50.000,00 EUR festgesetzt. Die Gebühr ist nach Nr. 3100 VV entstanden und nicht nach Nr. 3101 VV oder einem sonstigen Tatbestand des Vergütungsverzeichnisses gemindert. Die in Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4 VV vorgeschriebene Anrechnung eines Teils der Geschäftsgebühr ist bei der Festsetzung der Gebühr nach Nr. 3100 VV nicht zu berücksichtigen.
2. Die Anrechnung als solche bewirkt keine Minderung der Verfahrensgebühr.
a) Unstreitig ist den Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin allerdings eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV entstanden, die nach Maßgabe der Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen ist. Sie sind vorprozessual mit der Abwehr des Abmahnschreibens vom 24.4.2008 in der später zum Verfahrensgegenstand gewordenen Angelegenheit tätig geworden. Der von der Antragstellerin angegebene Gegenstandswert von 50.000,00 EUR und der Regelsatz von 1,3 werden nicht beanstandet. Der Auftrag umfasste die von den Bevollmächtigten entfaltete außergerichtliche, auf Vermeidung des Gerichtsverfahrens gerichtete Tätigkeit. Soweit sie im Schreiben vom 5.5.2008 mitgeteilt haben, dass sie für den Fall der gerichtlichen Auseinandersetzung "zustellungsbevollmächtigt" seien, geht daraus allenfalls ein bedingter Prozessauftrag – für den Fall einer Anrufung des Gerichts durch die Gegenseite – hervor. Soweit sie im Schreiben vom 8.5.2008 ausführten, im Falle des Ablaufs der zum 15.5.2008 gesetzten Frist zur Abgabe einer Verzichtserklärung würden sie der Mandantschaft "dringend zur Erhebung einer negativen Feststellungsklage anraten", ist ein unbedingter Prozessauftrag ebenfalls nicht ersichtlich.
b) Die Anrechnungsvorschrift bewirkt jedoch nicht, dass die Verfahrensgebühr von vornherein nur in um den Anrechnungsbetrag geminderter Höhe entstanden ist. Soweit der BGH dies annimmt (BGH – 8. Zivilsenat, NJW 2007, 283 zum materiellen Anspruch; dem folgend zum prozessualen Kostenerstattungsanspruch: 8. Zivilsenat, NJW 2008, 1323, bestätigt mit Beschl. v. 3.6.2008, VIII ZB 3/08; 3. Zivilsenat, Beschl. v. 30.4.2008 – III ZB 8/08 [= AGS 2008, 364]; 6. Zivilsenat, Beschl. v. 3.6.2008 – VI ZB 55/07 [= AGS 2008, 441]; 4. Zivilsenat, Beschl. v. 16.7.2008 – IV ZB 24/07 [= AGS 2008, 377]; 1. Zivilsenat. Beschl. v. 14.8.2008 – I ZB 103/07 [= AGS 2008, 574]; Beschl. v. 2.10.2008 – I ZB 30/08; 7. Zivilsenat., Beschl. v. 25.9.20...