"Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen." Wittgenstein[1] hat das erkannt, das OLG Oldenburg offenbar nicht:

Zweieinhalb vergeudete DIN-A4 Seiten drücken seinen Versuch aus, das vermeintliche Verständnis des Sachverhalts und seine Einordnung zu dokumentieren. Der Versuch ist aber nicht tauglich. Hätte das OLG die passenden Vorschriften des einschlägigen Gesetzes gelesen, wäre § 15 RVG – weil nicht einschlägig – schnell abgehandelt gewesen. Die Vorschrift, die die aufgeworfenen Fragen beantwortet, ist nicht einmal am Rande, schlicht überhaupt nicht erwähnt worden.

Das vom FamG ausgesetzte Verfahren über den Versorgungsausgleich ist nach Art. 111 Abs. 4 FGG-ReformG zu einer selbstständigen Familiensache geworden. Es ist daher – entgegen der falschen Darstellung des OLG – auch gesondert abzurechnen. Die Regelung des § 16 Nr. 4 RVG gilt nicht mehr. Der Verfahrenswert für das abgetrennte Verfahren richtet sich nach neuem Recht, also nach § 50 Abs. 1 FamGKG.

Artikel 111 Übergangsvorschrift

"… (4) Abweichend von Absatz 1 S. 1 sind auf Verfahren über den Versorgungsausgleich, die am 1. September 2009 vom Verbund abgetrennt sind oder nach dem 1. September 2009 abgetrennt werden, die nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit geltenden Vorschriften anzuwenden. Alle vom Verbund abgetrennten Folgesachen werden im Fall des Satzes 1 als selbstständige Familiensachen fortgeführt."

 
Praxis-Beispiel

Die Ehe der Beteiligten wurde rechtskräftig im Jahre 2005 geschieden und das Verfahren über den Versorgungsausgleich ausgesetzt. Der Wert der Ehesache war auf 9.000 EUR, der Wert der Versorgungsausgleichssache auf 2.000,00 EUR festgesetzt worden. Gegenstand des im Jahre 2010 wieder aufgenommenen Verfahrens über den Versorgungsausgleich waren drei Anrechte. Der Verfahrenswert beträgt demnach:

3 Anrechte x 10 % x 9.000,00 EUR = 2.700,00 EUR.

Aus diesem Wert sind die Gebühren nach Abtrennung zu ermitteln.

Es muss aber berücksichtigt werden, dass der Anwalt im Scheidungsverfahren bereits Gebühren aus dem Wert des Versorgungsausgleichs abgerechnet und erhalten hat, die er sich anrechnen lassen muss. Um den Mehrbetrag aus dem Scheidungsverfahren zu errechnen, ist zu ermitteln, welchen auf den Versorgungsausgleich entfallenden Gebührenbetrag der Anwalt im Verbundverfahren bereits erhalten hat.

 
Praxis-Beispiel

Im Verbundverfahren wurden abgerechnet:

 
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (11.000,00 EUR) 683,80 EUR
2. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (11.000,00 EUR) 631,20 EUR
3. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR
  Zwischensumme 1.290,00 EUR  
4. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG 245,10 EUR
  Gesamt   1.535,10 EUR

Aus dem Mehrwert des Versorgungsausgleichsverfahrens sind im Verbundverfahren (netto) angefallen:

 
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (11.000,00 EUR) 683,80 EUR
2. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (11.000,00 EUR) 631,20 EUR
3. ./. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (9.000,00 EUR) -583,70 EUR
4. ./. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (9.000,00 EUR) -538,80 EUR
Gesamt 192,50 EUR
 
Praxis-Beispiel

In der abgetrennten Versorgungsausgleichssache sind abzurechnen:

 
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (2.700,00 EUR) 245,70 EUR
2. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (2.700,00 EUR) 226,80 EUR
3. ./. bereits im Verbund abgerechneter -192,50 EUR
4. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR
  Zwischensumme 300,00 EUR  
5. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG 57,00 EUR
Gesamt 357,00 EUR

Nicht nur auf abgetrennte Versorgungsausgleichsverfahren, sondern nunmehr auf alle Versorgungsausgleichssachen, in denen am 31.8.2010 im ersten Rechtszug noch keine Entscheidung erlassen worden ist, ist jetzt neues materielles, Verfahrens- und Gebührenrecht anzuwenden. Soweit Vorschüsse auf der Grundlage der Wertfestsetzung nach dem GKG bereits geltend gemacht worden sind, ist abzurechnen wie im Beispielsfall.

Mit § 15 RVG, den das OLG allein zum Gegenstand seiner weit schweifenden Diskussion gemacht hat, hat dies alles nichts zu tun. Weitere Ausführungen dazu erübrigen sich deshalb.

Die richtige Anwendung des Art. 111 Abs. 4 FGG-ReformG führt zum richtigen Ergebnis!

FAFamR Lotte Thiel, Koblenz

[1] Ludwig Wittgenstein, Tractatus, 1921.

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