[Ohne Titel]
In AGS 2022, 433 wurde über die vergütungsrechtlichen Auswirkungen der Verbindung von mehreren Strafverfahren berichtet, in AGS 2023, 1 über die Vergütung des Rechtsanwalts nach der Trennung von Strafverfahren. Die nachfolgenden Ausführungen schließen daran an. Der Beitrag stellt die im Fall der Verweisung und Zurückverweisung von Verfahren entstehenden Probleme dar.
I. Geltungsbereich
1. Sachlich
Die nachfolgenden Ausführungen gelten für das Strafverfahren nach Teil 4 VV, auch für das Bußgeldverfahren nach Teil 5 VV. § 20 RVG, der die Verweisung und Abgabe regelt, findet aber keine Anwendung im Bußgeldverfahren bei Abgabe von einer Verwaltungsbehörde an eine andere, da die Vorschrift – schon vom Wortlaut her – nur das gerichtliche Verfahren betrifft. Vor der Verwaltungsbehörde ist die Frage entscheidend, ob die Angelegenheit vor und nach der Abgabe dieselbe ist. Dies ist im Regelfall zu bejahen. Auch die Rückgabe des Verfahrens vom Gericht an die Verwaltungsbehörde nach § 69 Abs. 5 S. 1 OWiG ist keine "Zurückverweisung/Abgabe" i.S.d. § 20 RVG mit der Folge, dass ggf. Gebühren im Verfahren vor der Verwaltungsbehörde noch einmal entstehen würden (vgl. III.).
2. Persönlich
Die Ausführungen gelten für den Wahlanwalt, i.d.R. also für den (Wahl-)Verteidiger, und auch für den bestellten/beigeordneten Rechtsanwalt, i.d.R. also den Pflichtverteidiger (vgl. auch III., 3.).
II. Verweisung/Abgabe (§ 20 RVG)
1. Regelungsgehalt
Das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz regelt die Verweisung bzw. Abgabe in § 20 RVG. Die Vorschrift stellt eine Ergänzung zu § 15 RVG dar, der allgemein den Begriff der Angelegenheit und damit den Abgeltungsbereich der Gebühren bestimmt. Die Vorschrift des § 20 RVG legt Umfang und Grenzen des Rechtszugs im Fall der Verweisung und Abgabe fest. Für die Zurückverweisung gilt § 21 RVG (vgl. III.). Die Verfahren vor dem verweisenden bzw. abgebenden und dem übernehmenden Gericht bilden einen Rechtszug und damit eine Angelegenheit. Die Gebühren entstehen damit grds. nur einmal. Sinn dieser Regelung ist die Vermeidung einer zu hohen (hier doppelten) Vergütung.
2. Beigeordneter/bestellter Rechtsanwalt
Wird eine Sache i.S.v. § 20 S. 1 RVG an ein anderes Gericht verwiesen, wirkt eine bereits bewilligte Prozesskostenhilfe (PKH) und die Beiordnung fort, da es sich um einen einheitlichen Rechtszug handelt. Dies gilt auch für die Pflichtverteidigerbestellung. Auch im Fall der Zurückverweisung an ein Gericht eines niedrigeren Rechtszugs – insoweit entsteht nach § 20 S. 2 RVG eine neue gebührenrechtliche Angelegenheit (vgl. Beispiel bei II. 5.) – dürfte die bereits erfolgte Beiordnung und Bestellung fortgelten. Der Rechtsanwalt solle aber überlegen, ob er nichts sicherheitshalber eine Klarstellung/Bestätigung seiner Bestellung/Beiordnung beantragt.
3. Begrifflichkeiten
Verweisung bedeutet, dass das angegangene sachlich oder örtlich unzuständige Gericht das Verfahren mittels Beschlusses an das zuständige Gericht verweist. Der Beschluss ist grds. bindend.
Die formlose Abgabe erfolgt zwischen Spruchkörpern desselben Gerichts (gerichtsinterne Zuständigkeit). Die Abgabe hat keine Bindungswirkung.
Es werden zwei Arten der Verweisung bzw. Abgabe geregelt:
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§ 20 S. 1 RVG regelt die Verweisung bzw. Abgabe innerhalb derselben Instanz mit der Rechtsfolge, dass beide Verfahren einen Rechtszug bilden (dazu II. 4.). |
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§ 20 S. 2 RVG regelt hingegen die Verweisung bzw. Abgabe durch ein Gericht der Rechtsmittelinstanz an ein Gericht der Vorinstanz mit der Rechtsfolge, dass das weitere Verfahren einen neuen Rechtszug darstellt (dazu II. 5.). |
4. Verweisung/Abgabe innerhalb derselben Instanz (§ 20 S. 1 RVG)
a) Grundsätze
Die Verfahren vor dem verweisenden und dem annehmenden Gericht bilden einen Rechtszug und damit nach § 15 Abs. 2 RVG eine Angelegenheit. Der Rechtsanwalt/Verteidiger, der in beiden Verfahren tätig wird, kann die Gebühren für beide Verfahren daher nur einmal fordern.
Beispiele für Verweisung innerhalb derselben Instanz sind die Verweisung wegen sachlicher Unzuständigkeit vom AG X an das LG Y (Strafkammer), vom AG X an das LG Y (Schwurgericht), vom AG X (Jugendgericht) an das AG Y (Jugendschöffengericht) und vom LG X an das OLG Y. Wird ein Verfahren innerhalb des LG von einer Strafkammer an eine andere abgegeben, weil diese nach der Geschäftsverteilung zuständig ist, ist das eine Abgabe wegen funktioneller Unzuständigkeit. Verweisungen wegen örtlicher Unzuständigkeit finden im Strafverfahren nicht statt (zu der gebührenrechtlichen Behandlung der Abgabe/Verweisung wegen örtlicher Unzuständigkeit s. II. 6.).
Falls aufgrund der Verweisung/Abgabe unterschiedlich hohe Betragsrahmen Anwendung finden, gilt: Der Betragsrahmen der Grundgebü...