1. Gesetzliche Regelung
Nach Abs. 1 Nr. 1 der Anm. zu Nr. 1000 VV entsteht die Einigungsgebühr für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrags, durch den der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird. Nach Abs. 5 der Anm. zu Nr. 1000 VV entsteht die Einigungsgebühr in Ehe- und Lebenspartnerschaftssachen (§ 269 Abs. 1 Nr. 1 und 2 FamFG) nicht. Diese Regelung ist nach Abs. 5 S. 3 der Anm. zu Nr. 1000 VV in Kindschaftssachen auch für die Mitwirkung an einer Vereinbarung, über deren Gegenstand nicht vertraglich verfügt werden kann, entsprechend anzuwenden. Ist über den Gegenstand ein gerichtliches Verfahren anhängig, fällt die Einigungsgebühr nach Nr. 1003 VV mit einem Gebührensatz von 1,0 an. Nach Abs. 2 der Anm. zu Nr. 1003 VV entsteht die Einigungsgebühr in Kindschaftssachen auch für die Mitwirkung am Abschluss eines gerichtlich gebilligten Vergleichs (§ 156 Abs. 2 FamFG) und einer Vereinbarung, über deren Gegenstand nicht vertraglich verfügt werden kann, wenn hierdurch eine gerichtliche Entscheidung entbehrlich wird oder wenn die Entscheidung der getroffenen Vereinbarung folgt.
Die Bezirksrevisorin hatte ihre Erinnerung gegen die Festsetzung der Einigungsgebühr hauptsächlich darauf gestützt, die Vereinbarung vom 14.10.2021 enthalte keine Erledigung des Verfahrens.
2. Unklare und unvollständige gesetzliche Vorgaben
Nach Auffassung des OLG München sind die gesetzlichen Vorgaben für den Anfall einer Einigungsgebühr in Kindschaftssachen zum Teil unklar bzw. unvollständig. Im Unterschied zu Nr. 1000 VV, der nicht anhängige Verfahren betreffe, solle in Kindschaftssachen bei anhängigen Verfahren nach Abs. 2 der Anm. zu Nr. 1003 VV eine Einigung über disponible Gegenstände zur Voraussetzung haben, dass hierdurch "eine gerichtliche Entscheidung entbehrlich wird oder diese einer getroffenen Vereinbarung folgt". Bereits diese Unterscheidung hält das OLG München für fragwürdig (s. hierzu auch OLG Hamburg AGS 2020, 505 = RVGreport 2020, 382 [Hansens]; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 25. Aufl., 2021, Nr. 1000 VV Rn 168b).
Nach Auffassung des OLG München ist für den UdG nicht einfach einzuschätzen, inwieweit eine gerichtliche Entscheidung "entbehrlich" i.S.v. Abs. 2 der Anm. zu Nr. 1003 VV wird. Hierbei sei auch abzuwägen, ob es einer Partei möglich wäre, ein Verfahren der einstweiligen Anordnung anzustrengen. Für eine solche Möglichkeit werde eine gewisse Wahrscheinlichkeit verlangt bzw. darauf abgestellt, ob mit einem derartigen Verfahren zu rechnen sei (s. Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, a.a.O., Nr. 1000 VV Rn 168a; OLG Hamburg, a.a.O.).
Das OLG München hat ferner darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit einer Zwischeneinigung bzw. einer Teileinigung, etwa für einen bestimmten Zeitraum, in Kindschaftssachen nicht gesehen habe. Gerade bei heranwachsenden Kindern könnten sich die Umstände jedoch schnell ändern, sodass eine Zwischeneinigung von einer endgültigen Regelung häufig nicht leicht abgrenzbar sei. Somit sei der Begriff "endgültig" unscharf und kostenrechtlich kaum praktikabel.
3. Beseitigung des Streits für eine gewisse Zeit
Unter Berücksichtigung dieser Gegebenheiten kommt das OLG München zu der Auffassung, dass eine Einigungsgebühr auch dann in Betracht kommt, wenn ein Streit wenigstens für eine gewisse Zeit beseitigt wird (so auch OLG Dresden AGS 2016, 164 = RVGreport 2016, 60 [Hansens]; OLG Celle AGS 2015, 446 = RVGreport 2015, 260 [Ders.]; OLG Koblenz AGS 2017, 500).
Dabei sei eine zu kleinliche Sichtweise nicht veranlasst. Das gesetzgeberische Ziel, Rechtsfrieden zu schaffen und entsprechende Vereinbarungen zu fördern, werde nämlich auch bei einer "Zwischeneinigung" erreicht. Unter Hinweis auf meine Ausführungen in RVGreport 2020, 382, 383 weist das OLG München darauf hin, dass die Rspr. dazu neige, auch für eine Zwischeneinigung eine Einigungsgebühr zu gewähren.
4. Die Umstände im Fall des OLG München
Die hier zu treffende Einzelfallentscheidung führt nach Auffassung des OLG München dazu, dass der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin die beantragte Einigungsgebühr zu gewähren ist. Das OLG weist darauf hin, dass die Parteien in der Vereinbarung vom 14.10.2021 eine ganze Reihe von Punkten geregelt hätten. Dabei wäre ein Verfahren der einstweiligen Anordnung bezüglich des Sorgerechts ohne Weiteres denkbar gewesen. In diesen Vereinbarungen sei die Rücknahme des Antrags, sei sie auch nur "vorläufig", erfolgt, in bestimmte Zusagen beider Seiten eingebettet, die man als "Gegenleistungen" begreifen könne. Damit sei zumindest eine Erleichterung auch für das Gericht verbunden.
5. Kein gebührenrechtlicher Anreiz für mehrere Zwischenvergleiche
Die Gefahr, dass ein Rechtsanwalt durch Abschluss immer neuer Zwischenvergleiche mehrere Einigungsgebühren zu verdienen versucht, sieht das OLG München nicht. Es verweist auf § 15 Abs. 2 RVG, wonach die Gebühren in derselben Angelegenheit i.S.d. §§ 16 ff. RVG nur einmal entstehen würden (s. auch OLG Dresden AGS 2016, 164 = RVGreport 2016, 60 [...