Dem Kläger steht ein Kostenerstattungsanspruch für das Berufungsverfahren nicht zu. Denn seiner Rechtsanwältin sind im Berufungsverfahren keine Vergütungsansprüche entstanden.
Zwar liegen die Voraussetzungen einer 1,1-Gebühr gem. Nr. 3201 VV – einen Auftrag des Klägers für das Berufungsverfahren unterstellt (die von der Rechtsanwältin des Klägers vorgelegte Prozessvollmacht enthält kein Datum) – grundsätzlich vor. Der im Berufungsverfahren tätige Rechtsanwalt erhält eine Verfahrensgebühr für das "Betreiben des Geschäfts" (Vorbem. 3 Abs. 2 VV). Für das Entstehen der ermäßigten Verfahrensgebühr gem. Nr. 3201 VV ist ein Auftreten des Anwalts gegenüber dem Gericht – anders als für die volle Verfahrensgebühr gem. Nr. 3200 VV – nicht erforderlich; dies ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetzeswortlaut zu Nr. 3201 Nr. 1 VV. Das "Betreiben des Geschäfts" kann sich beispielsweise auf eine Beratung des Mandanten oder auf die Beschaffung von Informationen beschränken. Bereits geringfügige Tätigkeiten des Anwalts, die in irgendeiner Weise der Durchführung des Verfahrens dienen, erfüllen die Voraussetzungen für eine Verfahrensgebühr (vgl. Hartmann, KostG, 36. Aufl. 2006, Nr. 3100 Rn 16 ff.).
Einem Vergütungsanspruch der Prozessbevollmächtigten des Klägers für das Berufungsverfahren steht jedoch § 19 Abs. 1 RVG entgegen. Selbst dann, wenn – was ebenfalls unterstellt wird – die Prozessbevollmächtigte des Klägers überprüft hätte, ob die Berufung der Gegenseite rechtzeitig eingelegt worden ist, würde dies für sie als bereits erstinstanzlich tätig gewesene Rechtsanwältin eine Neben- oder Abwicklungstätigkeit i.S.v. § 19 Abs. 1 RVG darstellen. Ihre Vergütung ist daher mit den erstinstanzlichen Gebühren bereits abgegolten, so dass eine gesonderte Geltendmachung einer Gebühr für das Berufungsverfahren gem. Nr. 3201 VV nicht in Betracht kommt.
Ausdrücklich gehört gem. § 19 Abs. 1 Nr. 9 RVG die Empfangnahme und Weiterleitung einer Rechtsmittelschrift an den Mandanten – wie vorliegend erfolgt – zu der (mit den erstinstanzlichen Gebühren abgegoltenen) Tätigkeit des Anwalts im ersten Rechtszug. Aus der Formulierung des Gesetzes ergibt sich, dass der Katalog der dem ersten Rechtszug zuzurechnenden Tätigkeiten in § 19 RVG nicht abschließend ist. Der Gesetzgeber hat in § 19 Abs. 1 S. 2 RVG – wie sich aus dem Wort "insbesondere" ergibt – lediglich beispielhaft einzelne Tätigkeiten aufgeführt, die nicht gesondert vergütet werden sollen. Entscheidend ist der Begriff der "Neben- und Abwicklungstätigkeit" in § 19 Abs. 1 S. 1 RVG.
Es ist in der Rspr. anerkannt, dass es bei einem Berufungsverfahren eine ganze Reihe verschiedener "Neben- und Abwicklungstätigkeiten" des erstinstanzlichen Anwalts gibt, die nicht gesondert vergütet werden. Insoweit gelten für § 19 Abs. 1 RVG die gleichen Grundsätze wie für die (gleichartige) frühere Regelung in § 37 Nr. 7 BRAGO (vgl. hierzu grundlegend BGH NJW 1991, 2084). Entscheidend ist, dass es um Tätigkeiten von eher geringem Umfang geht, die in der Regel sowohl vom Anwalt als auch vom Auftraggeber als eine Art Annex der erstinstanzlichen Tätigkeit verstanden werden und noch nicht als eine (vergütungspflichtige) Tätigkeit für das Berufungsverfahren, für das der Mandant im Einzelfall unter Umständen einen anderen Anwalt beauftragen möchte, der gesondert zu vergüten ist. Der BGH (a.a.O.) hat zu Recht darauf hingewiesen, dass es einer verbreiteten und begrüßenswerten Praxis entspricht, dass der erstinstanzliche Anwalt sich vielfach im frühen Stadium des Berufungsverfahrens in begrenztem Umfang um die Wahrnehmung der Interessen seines Mandanten für das Berufungsverfahren kümmert, ohne dass dies nach den Vorstellungen der Beteiligten zusätzliche Gebührenansprüche des Anwalts auslösen soll.
Zum ersten Rechtszug gehört beispielsweise die Tätigkeit eines Anwalts, der das Rechtsmittelverfahren in gewissem Umfang "beobachtet" (OLG Schleswig, Beschl. v. 21.8.1991–9 W 170/91 – SchlHA 1992, 83) oder sich mit einer Sachstandsanfrage an das Rechtsmittelgericht wendet (vgl. KG JurBüro 1998, 20). Eine Stellungnahme zu einem Fristverlängerungsgesuch der Gegenseite im Rechtsmittelverfahren wird von der Rspr. ebenfalls in der Regel noch dem ersten Rechtszug zugerechnet (vgl. OLG Köln OLGR 1998, 150; OLG Hamburg OLGR 2002, 163). Auch eine Stellungnahme des Anwalts gegenüber seiner Partei zur prozessualen Situation im Berufungsverfahren (OLG Hamburg MDR 2005, 1018 [= AGS 2005, 388]) oder eine (unaufgeforderte) Stellungnahme des Anwalts gegenüber seiner Partei zur Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (BGH a.a.O.) ist vielfach noch der Tätigkeit im ersten Rechtszug zuzurechnen. Entsprechendes gilt für die Beratung zur Auswahl eines Anwalts für die nächste Instanz (BGH a.a.O.).
§ 19 Abs. 1 RVG regelt den Abgeltungsbereich der Gebühren, die ein Anwalt in einem bestimmten Rechtszug verdient. Nach dem Gesetz gehören bestimmte Vorbereitungs-, Neben- und Abwicklungstätigkeiten auch dann zum "Rechtszug", wenn dieselben Tätigkeiten an s...