Die Entscheidung des OLG Brandenburg entspricht der allgemeinen Auffassung in der Rspr.
1. Grundsatz
Werden – wie hier – mehrere Streitgenossen verklagt, steht es grds. jedem von ihnen frei, sich von einem eigenen Rechtsanwalt vertreten zu lassen. Dies führt dann dazu, dass im Fall des Obsiegens die jedem Streitgenossen entstandenen Anwaltskosten erstattungsfähig sind (BVerfG BVerfGE 81, 386, 390 = NJW 1990, 2124; BGH RVGreport 2013, 356 [Hansens] = AGS 2014, 45).
2. Ausnahme bei Rechtsmissbrauch
Eine Ausnahme von der grundsätzlichen Erstattungsfähigkeit der Kosten eines eigenen Rechtsanwalts für jeden Streitgenossen oder – wie hier – für mehrere Gruppen von Streitgenossen liegt bei einem Rechtsmissbrauch vor. Nach dem auch im Prozessrecht geltenden Gebot von Treu und Glauben ist nämlich jede Partei verpflichtet, die Kosten ihrer Prozessführung so niedrig zu halten, wie sich dies mit der Wahrung ihrer berechtigten Belange vereinbaren lässt (BGH RVGreport 2018, 179 [Hansens] = zfs 2018, 344 m. Anm. Hansens = AGS 2018, 251; BGH RVGreport 2014, 315 [Ders.] = AGS 2014, 300; BGH RVGreport 2007, 309 [Ders.] = AGS 2007, 541). Jedoch ist von einem Rechtsmissbrauch nur dann auszugehen, wenn feststeht, dass für die Beauftragung eines eigenen Rechtsanwalts kein sachlicher Grund bestanden hat (BGH RVGreport 2013, 356 [Hansens] = AGS 2014, 45; BGH RVGreport 2012, 68 [Ders.] = zfs 2012, 103 m. Anm. Hansens = AGS 2012, 151; BGH RVGreport 2009, 153 [Ders.] = zfs 2009, 283 m. Anm. Hansens = AGS 2009, 306). Macht der betreffende Streitgenosse hingegen plausible und schutzwürdige Belange geltend, verbleibt es bei dem Grundsatz, dass der Streitgenosse einen eigenen Prozessbevollmächtigten einschalten darf, ohne dass er deshalb erstattungsrechtliche Nachteile zu tragen hat (BGH RVGreport 2012, 68 [Ders.] = zfs 2012, 103 m. Anm. Hansens = AGS 2012, 151).
Solche für eine Individualvertretung sprechenden Umstände liegen etwa dann vor, wenn im Innenverhältnis der Streitgenossen eine vom Grundsatz des § 426 Abs. 1 S. 1 BGB abweichende Ausgleichspflicht in Betracht kommt (BGH RVGreport 2013, 356 [Hansens] = AGS 2014, 45; OLG Karlsruhe NJW 2015, 1698). In einem solchen Fall besteht zwischen den Streitgenossen ein Interessenwiderstreit, aufgrund dessen die Beauftragung eines eigenen Rechtsanwalts durch jeden Streitgenossen nachvollziehbar ist, wenn nicht sogar geboten ist.
Eine solche die Erstattungsfähigkeit gesonderter Anwaltskosten für jeden Streitgenossen ausschließende Fallkonstellation wird demgegenüber vielfach dann vorliegen, wenn sich in einem Kfz-Haftpflichtprozess der Halter oder Fahrer von einem eigenen Rechtsanwalt vertreten lassen und die Haftpflichtversicherung für alle Beklagten einen gemeinsamen Prozessbevollmächtigten bestellt (s. BGH RVGreport 2004, 188 [Hansens] = zfs 2004, 379 m. Anm. Hansens = AGS 2004, 188). Von einem weiteren die Erstattungsfähigkeit gesonderter Anwaltskosten ausschließenden atypischen Fall wird man dann ferner meist ausgehen können, wenn die von den gesondert beauftragten Anwälten eingereichten Schriftsätze weitgehend wortgleich sind oder ein Rechtsanwalt ausdrücklich auf den Schriftsatz des anderen Rechtsanwalts Bezug nimmt. Auch wenn der Prozessbevollmächtigte eines Streitgenossen den anderen Streitgenossen regelmäßig in den Gerichtsterminen mit vertritt, wird dies gegen die Erstattungsfähigkeit gesonderter Rechtsanwalts-Kosten sprechen.
3. Belehrungspflichten des Rechtsanwalts
Liegt ein Interessengegensatz der Streitgenossen, der zur Erstattungsfähigkeit der individuellen Anwaltskosten sämtlicher Streitgenossen führt, nicht auf der Hand, so sollte jeder von dem jeweiligen Streitgenossen beauftragte Rechtsanwalt seinen Mandanten darauf hinweisen, dass insgesamt für die Vertretung aller Streitgenossen möglicherweise nur die Kosten eines einzigen Rechtsanwalts erstattungsfähig sind.
VorsRiLG a.D. Heinz Hansens, Berlin
AGS 5/2022, S. 222 - 224