In die Akte schauen ist besser als klagen
Die Entscheidung des OLG Hamm ist richtig. Der Senat hat es sich jedoch unnötig schwer gemacht.
Die zutreffende Auffassung des OLG Hamm steht in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rspr. Spätestens seit der Entscheidung des BGH v. 13.2.2020 ist die Frage geklärt, ob einem Rechtsschutzversicherer ein eigener Auskunftsanspruch gegenüber dem Rechtsanwalt zusteht. Der Anspruch besteht, ein berechtigtes Interesse liegt vor. Entscheidet sich z.B. der Präsident eines LG dazu, ein solches Interesse im Ergebnis dennoch zu verneinen, steht es dem Rechtsschutzversicherer frei, diesen Verwaltungsakt gerichtlich überprüfen zu lassen.
Das berechtigte Interesse ist, wie vielen treffenden Entscheidungen des OLG Hamm zu entnehmen ist, immer dann gegeben, wenn der Akteninhalt zur Verfolgung von Ansprüchen erforderlich ist. Bereits 2012 wurde ausgeführt, dass für ein berechtigtes Interesse jedes "gerechtfertigte Interesse tatsächlicher, wirtschaftlicher oder wissenschaftlicher Art, das sich nicht auf vorhandene Rechte zu gründen oder auf das Verfahren zu beziehen braucht", ausreichend sein kann.
Selbstverständlich hat der Rechtsschutzversicherer aufgrund der versicherungsvertraglichen Beziehung ein berechtigtes Interesse, über die Verwendung seiner Vorschusszahlungen für ein bestimmtes Verfahren informiert zu werden. Bekanntlich gehen mögliche Erstattungsansprüche nach § 86 VVG in Höhe der Vorschüsse auf den Rechtschutzversicherer über. Dies gilt auch für Erstattungsansprüche, die aus anwaltlicher Schlechtleistung resultieren.
Die Ermessenentscheidung konnte das Gericht hier nicht ersetzen, über das Akteneinsichtsgesuch war erneut zu entscheiden. Das Interesse der Prozessbeteiligten an der Geheimhaltung des Prozessstoffs ist gegen das Interesse des Antragstellers an der gewünschten Information abzuwägen. Ein Geheimhaltungsinteresse der Parteien dürfte jedoch zurückstehen, wenn ausschließlich vermögensrechtliche Verhältnisse und Umstände streitgegenständlich waren.
Einem Akteneinsichtsgesuch ist daher regelmäßig zu entsprechen.
Statt die Gerichte mit kostenträchtigen und ggfs. unnötigen Auskunftsklagen zu belasten, nur weil der Prozessvertreter seiner Auskunftspflicht nicht nachkommt, sollte der prozessökonomische Weg über die Akteneinsicht begrüßt werden. Dieser verhindert gerade, dass allein aufgrund einer fehlenden Rückmeldung Klagen erhoben und Gerichte unnötig belastet werden. Dies sollte nur in den Fällen geschehen, bei denen eine Prüfung des Akteninhalts konkreten Anlass zur Klage gibt und Anwälte sich z.B. auf ein nicht existierendes Mitverschulden des Rechtsschutzversicherers berufen.
So weit so gut, die Entscheidung geht in Ordnung, die Begründung ist bis dahin nachvollziehbar. Die weiteren Ausführungen dienen jedoch weder der Sache, noch sind diese zielführend.
Es ist schlicht irrelevant, ob ein Dritter viele Regresse gegen Prozessbevollmächtigte verfolgt oder aufgrund bisheriger Anknüpfungspunkte im Einzelfall einen Regressanspruch prüft. Die Entscheidung über das Akteneinsichtsgesuch ist immer eine Einzelfallentscheidung.
Spielt es wirklich eine Rolle, ob Rechtsschutzversicherer Anwaltsfehler häufiger verfolgen als früher? Ist es wirklich relevant, die Motivation von Beteiligten zu erforschen, wenn diese unabhängig von der Beantwortung zu keinem anderen Ergebnis führt?
Selbstverständlich bleibt es dem Kostenträger überlassen, ob er mit der Leistung einverstanden ist oder diese prüfen und bewerten will. Oder sollen Anwälte für begangene Fehler im Rahmen des Mandates nicht haften?
Diese Fragen lässt der Senat bedauerlicherweise offen. Antworten gibt aber der in Hamm tätige Rechtsanwalt Dr. Florian Dallwig in seinem sehr lehrreichen Aufsatz "Der Anwaltsregress des Rechtsschutzversicherers".
Rechtsanwalt Rainer Tillner, Krefeld
AGS 7/2020, S. 355 - 357