Leitsatz
- Wird ein Rechtsanwalt zunächst einem Mandanten als Pflichtverteidiger "für die Dauer der Vernehmung eines Zeugen" beigeordnet und dann später als Pflichtverteidiger für das Verfahren, handelt es sich nicht um dieselbe Angelegenheit, sodass eine Anrechnung von Gebühren nicht in Betracht kommt.
- Erfolgt die Bestellung des Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger nach § 140 Abs. 1 Nr. 10 StPO, handelt es sich nicht um eine Einzeltätigkeit, sondern um eine Tätigkeit i.S.v. Teil 4 Abschnitt 1 VV mit der Folge, dass der beigeordnete Rechtsanwalt die Grundgebühr, die Verfahrensgebühr und die Terminsgebühr verdient.
LG Frankenthal (Pfalz), Beschl. v. 5.7.2023 – 2 Qs 144/23
I. Sachverhalt
Dem Beschuldigten ist der Vorwurf der Vergewaltigung gemacht worden. Ihm wurde mit Beschl. des AG vom 16.12.2020 der Rechtsanwalt für die Dauer der Vernehmung der Zeugin Z im Rahmen des Ermittlungsverfahrens beigeordnet. Nach Abrechnung der insoweit entstandenen gesetzlichen Gebühren ist der Rechtsanwalt dann auf Antrag der Staatsanwaltschaft mit Beschl. v. 21.4.2021 als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Dafür sind dann seine weiteren Gebühren und Auslagen wie folgt festgesetzt worden: Grundgebühr Nr. 4100 VV, Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV, Verfahrensgebühr Nr. 4106 VV, zweimal Terminsgebühr Nr. 4108 VV mit einem Zuschlag Nr. 4110 VV und Auslagen. Das AG hat die Gebühren antragsgemäß festgesetzt.
Die dagegen eingelegte Erinnerung der Vertreterin der Staatskasse hatte keinen Erfolg (vgl. AG Speyer AGS 2023, 258). Gegen den Beschluss des AG hat die Staatskasse Beschwerde eingelegt. Diese hat das LG zurückgewiesen.
II. LG Frankenthal bestätigt AG Speyer
Nach Auffassung des LG entspricht die angefochtene Entscheidung des AG der Sach- und Rechtslage. Die Kammer teile die Auffassung des Erstgerichts und trete den Gründen der angefochtenen Entscheidung, die ihrerseits auf den Beschl. des AG Speyer v. 27.3.2023 Bezug genommen hat, vollumfänglich bei.
Ergänzend bemerkt die Kammer: Soweit die Bezirksrevisorin in ihrer Stellungnahme auf die Entscheidung des LG Mannheim v. 21.1.2019 (5 Qs 61/18, RVGreport 2019, 217) rekurriere, ist die Kammer der Auffassung, dass die der Entscheidung zugrundeliegende Konstellation mit der hiesigen nicht vergleichbar ist, da vorliegend der Geltendmachung der Gebühren eine (erste) Beiordnung nach § 140 Abs. 1 Nr. 10 StPO am 16.12.2020 und eine mehrere Monate später (am 21.4.2021) erfolgte vollumfängliche Beiordnung zugrunde liegen.
Sofern der Rechtsanwalt nach § 140 Abs. 1 Nr. 10 StPO zum Pflichtverteidiger bestellt wurde, handelt es sich jedoch nicht um eine Einzeltätigkeit, sondern um Tätigkeiten i.S.v. Teil 4 Abschnitt 1 VV mit der Folge, dass der Rechtsanwalt dann ggf. Grund-, Verfahrens- und Terminsgebühr verdient (vgl. Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 25. Aufl., 2021, VV 4301 Rn 15). Aus diesem Grund scheidet jedoch eine "Deckelung" der Gebühren nach § 15 Abs. 6 RVG mangels Vorliegens von Einzelhandlungen i.S.d. vorgenannten Vorschrift aus.
Wie bereits im Beschl. des AG Speyer vom 27.3.2023 ausgeführt, kommt nach Auffassung der Kammer auch eine Anrechnung nicht in Betracht, da es sich bei der nachfolgenden Beiordnung vom 21.4.2021 nicht um dieselbe Angelegenheit handelt.
III. Bedeutung für die Praxis
1. Die Entscheidung ist zutreffend. Ich hatte dazu bereits in der Anmerkung zur AG-Speyer-Entscheidung in AGS 2023, 258 Stellung genommen. Darauf wird, um Wiederholungen zu vermeiden, verwiesen.
2. Das LG ist davon ausgegangen, dass die behandelt Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat und hat daher die weitere Beschwerde zugelassen. Wir werden dazu dann sicherlich bald auch etwas vom OLG Zweibrücken hören.
Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg