I. Fragen
1. Fall 1
Rechtsanwalt A erhebt für seinen Mandanten K gegen den Beklagten B Zahlungsklage über 10.000,00 EUR. Der Rechtsstreit erhält das gerichtliche Aktenzeichen 100/23. Fast zur selben Zeit hat B – vertreten durch seinen Prozessbevollmächtigten – vor demselben Gericht seinerseits Zahlungsklage gegen K über 8.000,00 EUR erhoben. Dieser Rechtsstreit ist unter dem Aktenzeichen 200/23 eingetragen. In beiden Verfahren wird an verschiedenen Tagen streitig zur Sache verhandelt. Nach dem letzten Verhandlungstermin im Verfahren 200/23 verbindet das Gericht durch Beschluss die Klage des B als Widerklage zum Verfahren 100/23. In dem verbundenen Verfahren wird eine weitere mündliche Verhandlung durchgeführt, an der beide Rechtsanwälte teilnehmen und streitig verhandeln.
Welche Vergütung ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers Rechtsanwalt A nach Beendigung des Rechtsstreits angefallen? Welche Berechnung ist für ihn günstiger?
2. Fall 2
Rechtsanwalt X hat für seinen Mandanten M gegen den Beklagten B nacheinander vor demselben Gericht zwei Zahlungsklagen erhoben. Die erste betrifft eine Klageforderung i.H.v. 2.500,00 EUR und ist unter dem gerichtlichen Aktenzeichen 75/23 eingetragen. Die Klageforderung im zweiten Rechtsstreit, der unter dem gerichtlichen Aktenzeichen 125/23 eingetragen wurde, beträgt 3.100,00 EUR. Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten hat in jedem der beiden Verfahren Klageabweisung beantragt. Das Prozessgericht beraumt in beiden Verfahren Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 1.8. an. In Anwesenheit der Prozessbevollmächtigten beider Parteien verkündet der Richter nach Aufruf der Sache einen Verbindungsbeschluss. Die Rechtsanwälte verhandeln sodann beide Klagegegenstände streitig.
Wie berechnet sich die Vergütung des Rechtsanwalts X nach Beendigung des Rechtsstreits?
II. Lösungen
1. Gebührenrechtliche Ausgangslage
Werden mehrere Verfahren verbunden, liegt ab dem Zeitpunkt der Verbindung nur noch eine einzige gebührenrechtliche Angelegenheit i.S.d. § 15 Abs. 2 RVG vor. Bis zur Verbindung wird der Rechtsanwalt hingegen in selbstständigen Angelegenheiten tätig. Das hat zur Folge, dass die Anwaltsgebühren bis zur Verbindung nach dem Wert der einzelnen Verfahren entstehen. Nach der Verbindung fallen die Gebühren in der dann nur einzigen gebührenrechtlichen Angelegenheit i.S.v. § 15 Abs. 2 RVG nur einmal nach dem Gesamtwert der einzelnen Verfahren (§ 23 Abs. 1 S. 1 RVG i.V.m. § 39 Abs. 1 und § 45 Abs. 1 GKG) an.
Hat der Rechtsanwalt die Gebührentatbestände sowohl vor als auch nach der Verbindung erfüllt, hat er die Wahl, ob er die in dem noch getrennten Verfahren entstandenen Gebühren nach dem jeweiligen Gegenstandswert berechnet oder ob er für das verbundene Verfahren jeweils eine gleichartige Gebühr nach dem Gesamtwert berechnet. Was für den Rechtsanwalt günstiger ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.
2. Lösung zu Fall 1
a) Angefallene Gebühren
aa) Verfahren 100/23
Rechtsanwalt A ist im Verfahren 100/23 für das Einreichen der Klageschrift (s. Nr. 3101 Nr. 1 VV) eine 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV angefallen. Die Wahrnehmung des Verhandlungstermins hat nach Vorbem. 3 Abs. 3 S. 1 VV eine 1,2-Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV ausgelöst. Beide Gebühren berechnen sich nach einem Gegenstandswert von 10.000,00 EUR.
bb) Verfahren 200/23
Im Verfahren 200/23 ist Rechtsanwalt A ebenfalls eine 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV angefallen. Sie ist jedenfalls für das Einreichen des Klageabweisungsantrags und auch für die Wahrnehmung des Verhandlungstermins in dieser Höhe entstanden (s. Nr. 3101 VV). Für die Wahrnehmung des Verhandlungstermins (s. Vorbem. 3 Abs. 3 S. 1 VV) kann Rechtsanwalt A die 1,2-Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV berechnen. Für beide Gebühren setzt er als Gegenstandswert den Wert der Klageforderung i.H.v. 8.000,00 EUR an.
cc) Verbundenes Verfahren
Im verbundenen Verfahren hat Rechtsanwalt A die 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV für das Betreiben des Geschäfts (s. Vorbem. 3 Abs. 2 VV) für die Wahrnehmung des weiteren Verhandlungstermins (s. Nr. 3101 Nr. 1 VV) verdient. Die Wahrnehmung des Verhandlungstermins hat daneben auch nach Vorbem. 3 Abs. 3 S. 1 VV die 1,2-Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV ausgelöst. Beide Gebühren berechnen sich nach dem Gesamtwert der beiden verbundenen Verfahren (§ 23 Abs. 1 S. 1 RVG i.V.m. § 45 Abs. 1 GKG).
b) Gebührenberechnungen
I. |
Verbundenes Verfahren |
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1. |
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV |
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1.001,00 EUR |
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(Wert: 18.000,00 EUR) |
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2. |
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV |
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924,00 EUR |
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(Wert: 18.000,00 EUR) |
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3. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
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20,00 EUR |
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Zwischensumme |
1.945,00 EUR |
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4. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
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369,55 EUR |
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Gesamt |
2.314,55 EUR |
II. |
Getrennte Abrechnung des Verfahrens 100/23 |
1. |
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV |
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798,20 EUR |
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(Wert: 10.000,00 EUR) |
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2. |
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV |
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736,80 EUR |
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(Wert: 10.000,00 EUR) |
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3. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
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Zwischensumme |
1.555,00 EUR |
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4. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
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295,45 EUR |
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Gesamt |
1.850,45 EUR |
III. |
Getrennte Abre... |