§ 32 Abs. 2 S. 1 RVG; § 45 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 FamGKG; §§ 1628, 1666, 1671 BGB

Leitsatz

In Verfahren wegen Meinungsverschiedenheiten der gemeinsam sorgeberechtigten Eltern über die Impfung ihres Kindes ist grundsätzlich der Regelverfahrenswert nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG festzusetzen, es sei denn, dieser Wert ist nach den besonderen Umständen des Einzelfalls unbillig, § 45 Abs. 3 FamGKG. Bei der Prüfung der Unbilligkeit sind als Vergleichsmaßstab andere Verfahren nach § 1628 BGB, nicht solche nach § 1666 BGB und § 1671 BGB heranzuziehen.

OLG Karlsruhe, Beschl. v. 30.11.2022 – 18 WF 179/22

I. Sachverhalt

Die getrennt lebenden Eltern der minderjährigen Kinder waren sich uneinig, ob ihre Kinder entsprechend der Empfehlung der Ständigen Impfkommission beim Robert-Koch-Institut (STIKO) gegen COVID-19 geimpft werden sollten. Die Antragstellerin wollte eine Impfung durchführen lassen. Demgegenüber war der Antragsgegner der Auffassung, dass die vorgesehene Impfung nicht zu verantworten sei, weil es sich bei dem von der STIKO empfohlenen Impfstoff um einen Wirkstoff handele, der zu wenig untersucht worden sei.

In dem deshalb nach § 1628 BGB vor dem AG Konstanz – FamG – eingeleiteten Verfahren hat das FamG der Antragstellerin das Alleinentscheidungsrecht für die COVID-19-Impfung der Kinder gem. der Empfehlung der STIKO übertragen. Die Kosten des Verfahrens hat das FamG gegeneinander aufgehoben. Durch gesonderten Beschluss hat das FamG dem Verfahrenswert gem. § 45 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 FamGKG auf 2.000,00 EUR festgesetzt. Dies hat das Gericht damit begründet, dass das Verfahren einen geringeren tatsächlichen und rechtlichen Aufwand erfordert habe als ein umfassendes Sorgerechtsverfahren.

Gegen diese Wertfestsetzung hat die Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin Beschwerde mit dem Ziel eingelegt, für das Verfahren den Regelverfahrenswert i.H.v. 4.000,00 EUR festzusetzen. Dies hat die Anwältin damit begründet, das Verfahren habe keinen geringeren tatsächlichen und rechtlichen Aufwand als ein umfassendes Sorgerechtsverfahren verursacht. Dies hat die Rechtsanwältin auf die schon im Vorfeld des Gerichtsverfahrens bestehende Uneinigkeit der Eltern über eine Impfung der Kinder gegen COVID-19 zurückgeführt. Deshalb habe die umfangreiche Rspr. hierzu geprüft und der Antragstellerin empfohlen werden müssen, den Antrag auf Übertragung der Alleinentscheidungsbefugnis zu stellen. Noch in der mündlichen Verhandlung habe der Antragsgegner gegen eine COVID-19-Impfung der Kinder argumentiert. Die Verfahrensbevollmächtigte der Antragstellerin hat ferner darauf hingewiesen, dass auch die Kinder vom FamG angehört worden seien.

Das FamG hat der Beschwerde nicht abgeholfen und dem OLG Karlsruhe zur Entscheidung vorgelegt.

II. Zulässigkeit der Beschwerde

Die von der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin in eigenem Namen frist- und formgerecht erhobene Beschwerde war nach Auffassung des OLG Karlsruhe zulässig. Gem. § 32 Abs. 1 RVG ist der vom Gericht für die Gerichtsgebühren festgesetzte Wert grds. auch für die Gebühren des Rechtsanwalts maßgebend. Gem. § 32 Abs. 2 S. 1 RVG kann der Rechtsanwalt aus eigenem Recht Rechtsmittel gegen die Festsetzung einlegen. Das OLG Karlsruhe hat auch festgestellt, dass der gem. § 32 Abs. 2 S. 1 RVG i.V.m. § 59 Abs. 1 S. 1 FamGKG erforderliche Beschwerdewert von mehr als 200,00 EUR überschritten worden ist. Bei dem festgesetzten Verfahrenswert von 2.000,00 EUR betragen die Anwaltskosten (Verfahrensgebühr, Terminsgebühr, Postentgeltpauschale und Umsatzsteuer) 517,65 EUR, während sich diese bei dem von der Rechtsanwältin angestrebten Verfahrenswert von 4.000,00 EUR auf 850,85 EUR belaufen.

III. Verfahrenswert

1. Gesetzliche Regelung

Gem. § 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG beträgt der Verfahrenswert in einer Kindschaftssache, die die Übertragung der elterlichen Sorge oder eines Teils der elterlichen Sorge betrifft, 4.000,00 EUR. Ist dieser Wert nach den besonderen Umständen des Einzelfalls unbillig, kann das Gericht gem. § 45 Abs. 3 FamGKG einen höheren, aber auch einen niedrigeren Wert festsetzen.

2. Festsetzung des Regelwertes

Nach Auffassung des OLG Karlsruhe betrifft ein Verfahren nach § 1628 BGB, in dem es um eine gerichtliche Entscheidung bei Meinungsverschiedenheiten der Eltern in Angelegenheiten der elterlichen Sorge geht, ein Verfahren, das einen Teil der elterlichen Sorge betrifft (so auch OLG Brandenburg JurBüro 2015, 251).

3. Keine Abweichung vom Regelwert

a) Grundsätze

Die Voraussetzungen für eine Abweichung vom Regelwert, die gem. § 45 Abs. 3 FamGKG eine niedrigere Wertfestsetzung ermöglichen würden, lagen hier nach Auffassung des OLG Karlsruhe nicht vor. § 45 Abs. 3 FamGKG enthalte eine von den Umständen des Einzelfalls abhängige Billigkeitsklausel, die angesichts des gesetzlichen Regelwertes einen Ausnahmecharakter habe (so OLG Frankfurt JurBüro 2020, 530). Dies habe zur Folge, dass nicht jede Abweichung vom Durchschnittsfall, sondern erst eine Abweichung von erheblichem Gewicht eine Unbilligkeit begründe (OLG Brandenburg AGS 2020, 581).

b) Die Umstände im Einzelfall

Nach den...

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