Nrn. 4101, 4113, 4115 VV RVG
Leitsatz
Für den "Terminsvertreter" des Pflichtverteidigers entsteht nur die Terminsgebühr. Grund-, Verfahrensgebühr und Auslagenpauschale entstehen nicht.
OLG Hamm, Beschl. v. 30.1.2024 – 5 Ws 273/23
I. Sachverhalt
Die Rechtsanwältin ist durch Beschl. der Vorsitzenden einer großen Strafkammer des LG Essen v. 3.3.2022 in einem dort anhängigen Strafverfahren gegen u.a. den Angeklagten als Terminsvertreterin für den Pflichtverteidiger dieses Angeklagten Rechtsanwalt R für den ersten Hauptverhandlungstag beigeordnet worden. Der erste Hauptverhandlungstermin fand am 7.3.2022 statt und dauerte dreißig Minuten, es wurde im Wesentlichen die Anklageschrift verlesen. Eine Einlassung des Angeklagten erfolgte zunächst nicht.
Die Rechtsanwältin hat dann beantragt, ihre Gebühren festzusetzen. Sie hat Festsetzung der Grundgebühr Nr. 4101 VV, der Verfahrensgebühr Nr. 4113 VV, der Terminsgebühr Nr. 4115 VV, der Auslagenpauschale Nr. 7002 VV sowie von Fahrtkosten, Tage- und Abwesenheitsgelder sowie Umsatzsteuer beantragt. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UdG) des LG hat nur die Terminsgebühr Nr. 4115 VV sowie Auslagenpauschale, Fahrtkosten, Tage- und Abwesenheitsgelder festgesetzt. Dagegen hat die Rechtsanwältin Erinnerung eingelegt. Die Bezirksrevision des LG hat beantragt, der Erinnerung dahingehend abzuhelfen, dass die Umsatzsteuer noch festgesetzt wird. I.Ü. hat die Bezirksrevision ihrerseits Erinnerung gegen den Beschluss eingelegt, da der Terminsvertreterin (auch) keine Auslagenpauschale zustünde. Die UdG hat dann der Erinnerung der Bezirksrevisorin abgeholfen und die Auslagenpauschale nunmehr nicht zugrunde gelegt. Der Erinnerung der Antragstellerin hat sie teilweise in Bezug auf die Umsatzsteuer abgeholfen und die Gebühren und Auslagen auf einen Betrag i.H.v. 506,49 EUR brutto festgesetzt.
Der Einzelrichter der großen Strafkammer des LG Essen hat auf die Erinnerung der Antragstellerin mit dem LG Essen, Beschl. v. 6.7.2023 (27 KLs 43/21) die Entscheidung der Urkundsbeamtin aufgehoben und die Gebühren und Auslagen auf den ursprünglich beantragten Betrag festgesetzt. Aufgrund der eigenverantwortlichen Tätigkeit während der Beiordnung sei der Auftrag nicht beschränkt wie bei einem Beistand. Schließlich sei die Verteidigung – wenn auch zeitlich eingeschränkt – vollständig übernommen. Wolle man den Gebührenanspruch beschränken, bedürfe es einer entsprechenden vorherigen Erklärung des Beizuordnenden. Gegen diese Entscheidung hat die Staatskasse Beschwerde eingelegt. Diese hatte beim OLG Erfolg.
II. Einzelrichterentscheidung
Das OLG hat gem. §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 8 S. 1 RVG durch den Einzelrichter entschieden, da auch die angefochtene Entscheidung vom Einzelrichter getroffen worden sei. Eine Übertragung auf den Senat sei nicht erforderlich, da die Voraussetzungen des §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 8 S. 2 RVG nicht vorliegen. Insbesondere habe die Sache keine grundsätzliche Bedeutung. Die hier in Rede stehende Rechtsfrage sei vom Senat bereits mehrfach und auch vom gesamten Spruchkörper (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 20.8.2019 – III-5 Ws 253/19, bisher n.v.) entschieden worden.
III. Kein Anspruch auf Grund- und Verfahrensgebühr und Auslagenpauschale
Der Einzelrichter verneint – ebenso wie die UdG des LG – den Anspruch der Rechtsanwältin/Pflichtverteidigerin auf Grund- und Verfahrensgebühr sowie Auslagenpauschale.
1. Bestellung eines Vertreters des Pflichtverteidigers zulässig
Nach st. Rspr. des Senats (vgl. nur OLG Hamm, Beschl. v. 26.5.2020 – III-5 Ws 362/19, v. 20.8.2019 – III-5 Ws 253/19 sowie v. 10.5.2016 – III-5 Ws 254/16, jeweils n.v.) sowie auch weiterer Senate des OLG Hamm (vgl. Beschl. v. 15.8.2023 – III-2 Ws 47/23 u. v. 19.2.2013 – III-4 Ws 381/12, jeweils n.v.) besteht die grundsätzliche Möglichkeit, durch das Gericht einen Vertreter des bereits beigeordneten (Pflicht-)Verteidigers zu bestellen. Ob ein solcher Fall der Vertretung oder eine Bestellung zum weiteren (vollwertigen) Verteidiger vorliegt, sei eine Entscheidung des jeweiligen Einzelfalls. Für eine abweichende Entscheidung dieser Rechtsfrage bestehe vorliegend kein Anlass.
2. Rechtsanwältin war nur "Vertreterin"
In der hier gegebenen Konstellation ergebe sich bereits mit Blick auf die eindeutige Formulierung des Beiordnungsbeschlusses, dass die Rechtsanwältin lediglich Vertreterin für den originären Pflichtverteidiger sein sollte. Sie sei ausdrücklich lediglich für den ersten Hauptverhandlungstag dem Angeklagten beigeordnet worden. Ein solches Vorgehen erscheine nur unter der begrenzten Vertretung plausibel. I.Ü. werde dieses Ergebnis auch durch die tatsächlichen Abläufe im Vorfeld sowie am insoweit maßgeblichen ersten Hauptverhandlungstag bestätigt. Das OLG bezieht sich insoweit darauf, dass sich aus der Akte ergebe, dass Rechtsanwalt R nach einer Verschiebung des Beginns der Hauptverhandlung mitgeteilt habe, dass er sich am 1. Hauptverhandlungstag durch die Rechtsanwältin vertreten lasse. Er habe beantragt, sie für diesen Tag dem Angeklagten als weitere Pflichtverteidigerin beizuordnen, da er selbst an der Terminsteilnahme gehindert sei. Auch die Rechtsanw...