1. Wortlaut der Nr. 6102 VV
Nach dem Wortlaut der Nr. 6102 VV entstehe in Auslieferungssachen im gerichtlichen Verfahren je Verhandlungstag eine Terminsgebühr. Da das IRG den Begriff "Verhandlung" ausschließlich in Vorschriften verwendet, die das Verfahren vor OLG betreffen, wie z.B. §§ 30 Abs. 3, 31 sowie § 33 Abs. 3 IRG, nicht aber in denen, die die Termine vor dem Amtsgericht betreffen, insbesondere §§ 21, 22 oder 28 IRG, folge bereits daraus, dass die Terminsgebühr nur für Verhandlungen vor dem Oberlandesgericht entstehen soll. Soweit die Literaturmeinung aus der Vorbem. 6 Abs. 3 VV gegenteiliges ableitet, könne das nicht überzeugen. Durch Vorbem. 6 Abs. 3 VV solle vielmehr für alle nachfolgenden Abschnitte klargestellt werden, dass die Terminsgebühr nur für gerichtliche Termine anfalle, für außergerichtliche Termine nur dann, wenn das – wie z.B. in Nr. 6201 VV – abweichend geregelt sei (vgl. BeckOK RVG/v. Seltmann, 52. Ed. 1.3.2021, RVG VV Vorbemerkung 6 Rn 13–15). Es handele sich somit um eine Differenzierung zwischen gerichtlichen und außergerichtlichen Terminen und nicht um eine zwischen gerichtlichen Terminen mit und ohne in eine Entscheidung mündender Verhandlung.
Amtsgerichtliche Termine in Auslieferungssachen stellen nach Auffassung des OLG auch begrifflich keine Verhandlung dar. Eine gerichtliche Verhandlung münde in eine gerichtliche Entscheidung und setze eine Entscheidungsbefugnis bzgl. des verhandelten Sachverhalts voraus. Dem in Auslieferungsangelegenheiten befassten Amtsrichter stehe eine solche jedoch nur in sehr begrenztem Umfang zu. Er werde vielmehr als "Ohr" und Werkzeug des OLG eingesetzt und habe keine Entscheidungsbefugnisse (vgl. Riegel, in: Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Aufl., 2020, § 28 IRG Rn 4). Er ist im Wesentlichen auf die Prüfung formeller Aspekte sowie auf die Bekanntgabe des Auslieferungshaftbefehls sowie die Vornahme von Belehrungen und Protokollierungen beschränkt (§§ 21 Abs. 2 u. 6, 22 Abs. 2, 28 Abs. 2, 3 IRG). Die von dem Verfolgten in diesen Terminen vorgebrachten Einwendungen werden lediglich zu Protokoll genommen. Über ihre Relevanz zu befinden hat nicht der Amtsrichter, sondern das OLG gem. § 23 IRG (vgl. auch § 21 Abs. 5 IRG). Anders als im Haftbefehlsverfahren nach §§ 112 ff. StPO, in dem der Verteidiger gehalten sei, den dringenden Tatverdacht auszuräumen, finde eine Tatverdachtsprüfung im Auslieferungsverfahren nach § 10 Abs. 2 IRG nur in ganz begrenztem Umfang statt. Eine inhaltliche Auseinandersetzung im Sinne einer Verhandlung erfolge vor dem AG nicht, sodass auch unter diesem Aspekt Nr. 6102 VV nur auf Termine vor dem OLG anzuwenden sei.
2. Gebührenhöhe
Als weiteres Argument dafür, dass Nr. 6102 VV nur die Verhandlung vor dem OLG meint, liefert für das OLG der Vergleich mit den in Teil 4 VV bestimmten anderen Terminsgebühren. Von diesen entspreche nur die gem. Nr. 4120 VV anfallende Gebühr i.H.v. 424,00 EUR (2021: 466,00 EUR) für eine in erster Instanz vor dem OLG, dem Schwurgericht oder der nach §§ 74a, 74c GVG zuständigen Strafkammer stattfindende Verhandlung der Terminsgebühr für die Beistandsleistung in Auslieferungsangelegenheiten. Die anderen Terminsgebühren liegen weitgehend deutlich darunter. Auch ein Vergleich mit der Gebühr nach Nrn. 4102 Nr. 3, 4103 VV, die für die Vertretung bei einer Haftbefehlseröffnung vor dem AG gewährt werde und im Falle eines nicht auf freiem Fuß befindlichen Angeklagten für den gerichtlich bestellten oder beigeordneten Rechtsanwalt mit Zuschlag 166,00 EUR (2021: 183,00 EUR) betrage, zeige, dass Nr. 6102 VV nur die Verhandlung vor dem OLG meint.
In diesem Zusammenhang sei ferner zu sehen, dass die Gebühr nach Nr. 4102 Nr. 3 VV eine Terminsgebühr nur für die Teilnahme an einem Termin vorsehe, in dem über die Anordnung oder Fortdauer der Untersuchungshaft verhandelt wird. Erforderlich sei also ausdrücklich ein Verhandeln. Damit sollen nach dem Willen des Gesetzgebers die häufig nur sehr kurzen reinen Haftbefehlsverkündungstermine nicht erfasst werden (BT-Drucks 15/1971, 223). Da Nr. 6102 VV von "Verhandlungstag" spricht, kann aufgrund dieser Parallele im Wortlaut gefolgert werden, dass auch Nr. 6102 VV für reine Verkündungstermine nicht gewährt werden soll.
3. Gleichbehandlung
Die Gewährung einer Terminsgebühr ist für das OLG auch nicht unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten geboten, denn eine Gleichstellung des Beistands im Auslieferungsverfahren mit dem Verteidiger im Strafverfahren sei aufgrund der unterschiedlichen Aufgabenstellungen nicht sachgerecht. Während der Verteidiger im Strafverfahren in den amtsgerichtlichen Terminen – sei es bei einer Haftbefehlseröffnung oder in der mündlichen Verhandlung – den Angeklagten in der Sache, d.h. bei der Abwehr des gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Vorwurfs vertrete, sei die Verdachtsprüfung im Rahmen der Vernehmung nach § 28 IRG die Ausnahme (vgl. Riegel, in: Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 6. Aufl., 2020, § 28 IRG ...