Eine Anrechnung der vorprozessual angefallenen Geschäftsgebühr ist nicht veranlasst.
Für Fallgestaltungen der hier zur Entscheidung stehenden Art kann offen bleiben, ob die vorprozessual entfaltete Anwaltstätigkeit dem Verfügungsverfahren oder dem Hauptsacheverfahren zuzuordnen ist. Zum gegenwärtigen Rechtsstand scheidet eine Gebührenanrechnung nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV generell aus. Der zur Festsetzung angemeldete Erstattungsbetrag ist daher in vollem Umfang zu berücksichtigen.
Nach dem Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung des § 15a RVG ist das vom BGH bislang angenommene erweiterte Anrechnungsgebot aus Vorbem. 3 Abs. 4 VV (vgl. etwa BGH NJW 2008, 1323) hinfällig geworden. Eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr hat auch in Altfällen nur nach Maßgabe von § 15a Abs. 2 RVG zu erfolgen (so im Ergebnis auch OLG Stuttgart, Beschl. v. 11.8.2009–8 W 339/09 [= AGS 2009, 371]; OLG Düsseldorf AGS 2009, 372; OVG NW, Beschl. v. 4.8.2009–4 E 1609/08; LG Berlin AGS 2009, 367; AG Wesel AGS 2009, 312; Hansens RVGreport 2009, 306). Das Anrechnungsgebot erstreckt sich danach grundsätzlich nur auf das Vergütungsverhältnis zwischen Anwalt und Mandant, während sich ein Dritter nach den in § 15a Abs. 2 RVG aufgeführten Regelungsalternativen nur dann auf die Anrechnung berufen kann, wenn er in eigener Person als Schuldner/Erstattungspflichtiger sowohl für die Geschäftsgebühr als auch für die Verhandlungsgebühr zu betrachten ist.
Hierbei mag davon auszugehen sein, dass die gesetzliche Neuregelung des § 15a RVG eine der Übergangsvorschrift aus § 60 Abs. 1 RVG unterfallende Bestimmung beinhaltet. Entgegen einer in der Rspr. vertretenen Auffassung (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 10.8.2009–12 W 91/09; KG, Beschl. v. 13.8.2009–2 W 128/09; OLG Celle, Beschl. v. 26.8.2009–2 W 240/09) hat dies aber nicht zur Folge, dass die bisherige Rspr. des BGH in Altfällen fortzuführen wäre. Die nach dieser Auffassung maßgebliche formale Anknüpfung an die bloße Gesetzeschronologie lässt im Kern unberücksichtigt, dass sich die gesetzliche Neuregelung des § 15a RVG ersichtlich vor dem Hintergrund der bisherigen BGH-Rspr. und der sich hieraus ergebenden rechtlichen und praktischen Schwierigkeiten versteht, die künftig vermieden werden sollen (zu den Gesetzesmaterialien vgl. LG Berlin a.a.O.; Hansens a.a.O.). In Anbetracht dessen hält es der Senat für geboten, diese Ziel- und Wertvorstellungen des Gesetzgebers auch bei der Auslegung und Anwendung der bisherigen, durch § 15a RVG im Übrigen nicht veränderten Gesetzeslage heranzuziehen. Auch die BGH-Rspr. zum erweiterten Anrechnungsgebot erging im Rahmen einer Gesetzesauslegung, die nicht starr und unverrückbar ist, sondern der Rechtsfortbildung unterliegt, innerhalb derer veränderte rechtliche und tatsächliche Rahmenbedingungen und Wertvorstellungen Berücksichtigung finden können und müssen (vgl. nur Palandt/Heinrichs, BGB, 68. Aufl., Einl. vor § 1 Rn 54 ff.).
Ein Festhalten an der Gesetzesauslegung des BGH wäre bei der nunmehr gegebenen Sach- und Rechtslage verfehlt, denn dies stünde in offenem Widerspruch zu den gesetzgeberischen Intentionen und würde die rechtspraktischen Schwierigkeiten, die sich nach der bisherigen Handhabung im Rahmen der Kostenfestsetzung ergeben haben, noch über mehrere Jahre hinweg fortsetzen. Der Senat lässt sich dabei wesentlich davon leiten, dass mit der Bestimmung des § 15a RVG keine grundlegend neue gesetzliche Bestimmung geschaffen wurde, sondern die Vorschrift aus Vorbem. 3 Abs. 4 VV lediglich in einem Sinne konkretisiert und präzisiert worden ist, wie dies schon früher, d.h. vor der geänderten BGH-Rspr., der ganz überwiegend vertretenen Auslegung des RVG entsprach. Nichts spricht dagegen, die in diesem Sinne erfolgte gesetzliche Präzisierung schon jetzt bei der Gesetzesauslegung für maßgeblich zu halten, zumal auf diesem Wege krasse Wertungswidersprüche vermieden werden können.
Mitgeteilt von RiOLG Rüdiger Pamp, Köln