Leitsatz
Wird nach einer teilweisen Bewilligung von Prozesskostenhilfe das Verfahren bezüglich des von der Prozesskostenhilfe voll umfassten Klagegegenstandes nach § 93 VwGO abgetrennt (hier bezüglich der begehrten Feststellung der Voraussetzungen nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG), sind dem Rechtsanwalt bezüglich des abgetrennten Verfahrens auf der Grundlage von §§ 48, 55 RVG die (auch) dort neu oder erneut entstandenen Gebühren und Auslagen auf der Basis des (geringeren) neuen Gegenstandswertes im abgetrennten Verfahren in voller Höhe festzusetzen; die Trennung der Verfahren führt zu neuen selbstständigen Prozessen und gebührenrechtlich auch zu einer neuen Angelegenheit i.S.v. § 15 RVG.
VG Frankfurt (Oder), Beschl. v. 25.5.2016 – 6 KE 9/16.A (6 K 935/12.A PKH)
1 Aus den Gründen
Die nach § 56 Abs. 1 S. 1 RVG statthafte Erinnerung ist zulässig und begründet. Der Antragsteller hat insgesamt Anspruch auf Festsetzung seiner Vergütung im Prozesskostenhilfeverfahren als Vorschuss in der beantragten Höhe gem. §§ 47, 48, 55 RVG.
Der Vergütungsanspruch bestimmt sich gem. § 48 Abs. 1 RVG nach dem Prozesskostenhilfebewilligungsbeschluss der Kammer, der noch zum Aktenzeichen des Ausgangsverfahrens VG 6 K 881/10.A ergangen ist. Die Bewilligung und Beiordnung des Antragstellers umfasste den von der dortigen Klägerin geltend gemachten Anspruch nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG. Dieser prozessuale Anspruch war dann Gegenstand des im späteren Verlauf abgetrennten Verfahrens VG 6 K 935/12.A, für welches die Vergütung geltend gemacht wird. Insofern kann der Antragsteller die geltend gemachte 1,3-Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV) und 1,2-Terminsgebühr (Nr. 3104 VV) auf der Basis des im abgetrennten Verfahren (noch) maßgeblichen Gegenstandswertes von 1.500,00 EUR in voller Höhe geltend machen. Dem steht nicht entgegen, dass sich die teilweise Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach der Begründung im Beschluss der Kammer auf eine Kostenquote von 1/6 der Verfahrenskosten bezog. Denn diese Bemerkung ist insoweit durch den Trennungsbeschluss überholt. Durch die Trennung wird das bisher einheitliche Gerichtsverfahren in mehrere selbstständige Prozesse aufgespalten mit der Folge, dass es sich gebührenrechtlich bei der Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten nicht mehr um dieselbe Angelegenheit i.S.d. § 15 RVG handelt (vgl. Hartmann, KostG, 45. Aufl., RVG § 15 Rn 68; Winkler, in: Mayer/Kroiß, RVG, 6. Aufl., § 15 Rn 64; Rudisile, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, § 93 Rn 26 m.w.N.). Daher sind die entstandenen Gebühren nach der Trennung grundsätzlich nach dem jeweils neuen Streit- bzw. Gegenstandswert zu berechnen bzw. hat der Rechtsanwalt zumindest ein entsprechendes Wahlrecht (vgl. Winkler, a.a.O.). Bereits entstandene Gebühren werden zwar nicht beeinträchtigt, sind jedoch auf die neu berechneten gleichartigen Gebühren – verteilt nach dem Verhältnis der Streitwerte der getrennten Verfahren – gegebenenfalls anzurechnen (vgl. Rudisile, a.a.O.). Dem entsprechend waren im Übrigen auch die abgerechneten Auslagen nach Nrn. 7002, 7004 und 7005 VV jeweils ungekürzt wie beantragt anzusetzen.
2 Anmerkung
Nach überwiegender Auffassung hat im Falle einer Teilbewilligung die Landeskasse die volle Vergütung aus dem bewilligten Teil zu zahlen, so dass die bedürftige Partei nur die Mehrkosten zu tragen hat, dann allerdings nach der Wahlanwaltstabelle. Das folgt letztlich aus § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO, wonach der Anwalt die bedürftige Partei im Rahmen der Bewilligung nicht in Anspruch nehmen darf.
Beispiel
Der Beklagte will seinen Anwalt mit der Abwehr einer gegen ihn gerichteten Klage in Höhe von 20.000,00 EUR beauftragen und bittet ihn, zunächst hierfür Prozesskostenhilfe zu beantragen. Dem Beklagten wird Prozesskostenhilfe lediglich zur Abwehr eines Teilbetrags in Höhe von 12.000,00 EUR bewilligt. Im Übrigen wird die Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussichten abgelehnt. Die bedürftige Partei beauftragt den Anwalt ungeachtet dessen, das Verfahren in voller Höhe durchzuführen. Nach mündlicher Verhandlung ergeht ein Urteil.
Die Landeskasse muss nach zutreffender Auffassung die volle Vergütung aus 12.000,00 EUR zahlen.
Wird das Verfahren ungeachtet der teilweisen Ablehnung der Prozesskostenhilfe durchgeführt, greift die Sperre des § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nur, soweit der Anwalt beigeordnet worden ist, also nach einem Wert von 12.000,00 EUR. Im Übrigen kann der Mandant in Anspruch genommen werden.
I. Vergütung aus der Staatskasse (Wert: 12.000,00 EUR)
1. |
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV, |
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417,30 EUR |
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§ 49 RVG |
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2. |
1,2-Terminsgebühr, Vorbem. 3.3.6 S. 2 |
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385,20 EUR |
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i.V.m. Nr. 3104 VV, § 49 RVG |
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3. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
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20,00 EUR |
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Zwischensumme |
822,50 EUR |
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4. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
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156,28 EUR |
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Gesamt |
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978,78 EUR |
II. Weitergehender Vergütungsanspruch
gegenüber dem Mandanten
1. |
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV, |
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964,60 EUR |
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§ 13 RVG (Wert: 20.000,00 EUR) |
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2. |
./. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 |
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– 785,20 EUR |
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VV, § 13 RVG (Wert: 12.000,00 EUR) |
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