Zwar ist das LG bei der Zurückweisung der Erinnerung der bislang ständigen Rspr. des erkennenden Senats gefolgt. Der Senat hält indes an dieser nicht mehr fest (siehe dazu unten unter 2. b) aa)).

a) Die Erinnerung war zulässig, § 56 Abs. 1 S. 1 RVG.

b) Die Erinnerung war auch begründet.

Die Antragstellerin kann als dem Beklagten gem. § 121 ZPO beigeordnete Rechtsanwältin für ihre Tätigkeit in der ersten Instanz aus § 45 Abs. 1 RVG eine Vergütung in Höhe von insgesamt 833,00 EUR von der Staatskasse beanspruchen, sodass der Beschluss des LG entsprechend abzuändern ist.

aa) Gem. Vorbem. 3 Abs. 2 VV und Nr. 3100 VV steht der Antragstellerin für das Betreiben des Geschäfts der Vertretung des Beklagten im Rechtsstreit erster Instanz eine 1,3-Verfahrensgebühr aus dem Streitwert von 17.590,37 EUR zu, die 353,60 EUR beträgt, da sich die Höhe der dem beigeordneten Rechtsanwalt von der Staatskasse zu zahlenden Vergütung nach § 49 RVG bestimmt.

Diese Gebühr ist zugunsten der Antragstellerin in voller Höhe gegen die Staatskasse festzusetzen.

Zwar regelt Vorbem. 3 Abs. 4 VV, dass eine vorgerichtlich angefallene Geschäftsgebühr hälftig auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet wird, wenn und soweit die außergerichtliche und die gerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwalts – wie hier – denselben Gegenstand betreffen. Auf diese Anrechnung kann sich die Staatskasse auch trotz der Regelung des § 15a Abs. 2 RVG berufen, weil sie nicht "Dritte" im Sinne dieser Norm ist (vgl. Beschluss des erkennenden Senats v. 12.2.2010 – 18 W 3/10).

Jedoch sieht § 15a Abs. 1 RVG vor, dass der Rechtsanwalt in Fällen, in denen eine Gebühr auf eine andere Gebühr anzurechnen ist, beide Gebühren fordern kann, jedoch nicht mehr, als den um den Anrechnungsbetrag verminderten Gesamtbetrag beider Gebühren. Der Rechtsanwalt hat deshalb die Wahl, welche Gebühr er fordert, so dass er in Fällen wie dem vorliegendem, in dem die Gebühren von unterschiedlichen Personen geschuldet werden (der Beklagte schuldet die Geschäftsgebühr, die Staatskasse gem. § 45 Abs. 1 RVG die Verfahrensgebühr) auch wählen kann, welchen Schuldner er in Anspruch nimmt. Beantragt er – wie vorliegend die Antragstellerin – die Festsetzung einer vollen Verfahrensgebühr gegen die Staatskasse, macht er von diesem Wahlrecht in zulässiger Weise Gebrauch. Eine Einschränkung des aus § 15a Abs. 1 RVG folgenden Wahlrechts des Rechtsanwalts dahingehend, dass er von diesem nicht zu Lasten der Staatskasse Gebrauch machen kann, ist weder dem Wortlaut dieser Regelung noch den Gesetzgebungsmaterialien (vgl. BT-Drucksache 16/12717 "Zu Nummer 3 – neu") zu entnehmen.

Der erkennende Senat gibt deshalb seine – seit dem oben zitierten Beschl. v. 12.2.2010 – 18 W 3/10 ständige – Rspr. (vgl. auch Beschl. v. 12.12.2011 – 18 W 214/11, RVGreport, 2012, 104), der zufolge der Anfall der Geschäftsgebühr wegen der in Vorbem. 3 Abs. 4 VV normierten Anrechnung stets zu einer Reduzierung der von der Staatskasse zu zahlenden Verfahrensgebühr führt, auf und schließt sich der Auffassung des 1. Senats für Familiensachen des OLG Frankfurt am Main (vgl. Beschl. v. 6.3.2012 – 1 WF 58/12) und des 4. Senats für Familiensachen des OLG Frankfurt am Main (Beschl. v. 20.3.2012 – 4 WF 204/11, FamRZ 2013, 323 [= AGS 2012, 399]) an, nach der sich die von Vorbem. 3 Abs. 4 VV vorgesehene Anrechnung nur dann auf die gem. § 45 Abs. 1 RVG von der Staatskasse zu zahlende Verfahrensgebühr auswirkt, wenn die Geschäftsgebühr gezahlt worden ist.

In Anbetracht des in § 15a Abs. 1 RVG bestimmten Höchstbetrags, den der Rechtsanwalt fordern darf, ist dies dahin zu konkretisieren, dass die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr erst dann für die Festsetzung der Vergütung gem. §§ 45 Abs. 1, 55 RVG von Bedeutung ist, wenn auf die Geschäftsgebühr ein Betrag gezahlt wurde, der so hoch ist, dass die Festsetzung der vollen Verfahrensgebühr gegen die Staatskasse dazu führen würde, dass der Rechtsanwalt wegen des Anfalls von Geschäfts- und Verfahrensgebühr mehr erhielte als die um die Hälfte der Geschäftsgebühr verminderte Summe von Geschäfts- und Verfahrensgebühr. Die auf die Geschäftsgebühr erbrachten Zahlungen wirken sich also erst auf die festzusetzende Verfahrensgebühr aus, wenn mehr als die Hälfte des Betrags der angefallenen Geschäftsgebühr gezahlt wurde. Ist etwa eine Geschäftsgebühr zu einem Satz von 1,3 angefallen, ist die Verfahrensgebühr vollumfänglich gegen die Staatskasse festzusetzen, solange nicht auf die Geschäftsgebühr ein Betrag gezahlt wurde, der 0,65 der Geschäftsgebühr übersteigt. Wurde ein höherer Betrag gezahlt, ist die Verfahrensgebühr um den 0,65 der Geschäftsgebühr übersteigenden gezahlten Betrag vermindert festzusetzen.

Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle, der die dem beigeordneten Rechtsanwalt aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung gem. § 55 Abs. 1 S. 1 RVG festzusetzen hat, kann feststellen, ob anzurechnende Zahlungen erfolgt sind, weil der die Festsetzung beantragende Rechtsanwalt gem. § 55 Abs....

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