Leitsatz
- Bei mehreren nahezu identischen und parallel betriebenen Klageverfahren desselben Klägers sind Synergieeffekte im arbeitsintensiveren Ausgangsverfahren nicht gebührenmindernd zu berücksichtigen.
- Die (Verfahrens-)Gebühr im Ausgangsverfahren ist stets so zu bemessen, als ob der Rechtsanwalt nur dieses eine Klageverfahren betrieben hätte.
SG Detmold, Beschl. v. 24.5.2016 – S 6 SF 242/15 E
1 Sachverhalt
Die Klägerin wandte sich gegen eine Minderung ihrer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II um 30 % für drei Monate.
Etwa drei Monate nach Klageerhebung dieses Ausgangsverfahren erhob die dortige Klägerin zwei weitere, sodann parallel geführte Klagen, in welchen weitere seitens des Beklagten erfolgte Sanktionen strittig waren.
In diesen beiden weiteren Verfahren waren Klagebegründung, Stellungnahmen sowie weitere Schriftsätze nahezu identisch mit denen des Ausgangsverfahrens.
Alle drei Streitsachen wurden sodann in einem gemeinsamen Termin mündlich verhandelt. Das Ausgangs- sowie ein weiteres später anhängiges Parallelverfahren wurden durch klageabweisendes Urteil erledigt, das weitere Verfahren wurde durch ein Anerkenntnis des Beklagten beendet.
In allen Verfahren erfolgte die antragsgemäße Beiordnung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Wege der Prozesskostenhilfe.
Unter anderem im Ausgangsverfahren beantragte der beigeordnete Rechtsanwalt die Festsetzung der Vergütung nach §§ 45, 55 RVG gegen die Landeskasse unter Ansatz einer Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV sowie Terminsgebühr Nr. 3106 VV in Höhe der jeweiligen Mittelgebühr.
Mit Vergütungsfestsetzungsbeschluss kürzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die angemeldete Verfahrens- sowie Terminsgebühr unter Begründung der eingetretenen Synergieeffekte in allen Verfahren wie folgt:
1. Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV |
200,00 EUR |
2. Terminsgebühr Nr. 3106 VV |
210,00 EUR |
3. Postentgeltpauschale Nr. 7002 VV |
20,00 EUR |
4. 19 % Umsatzsteuer Nr. 7008 VV |
81,70 EUR |
Gesamt |
511,70 EUR |
Sodann legte der beigeordnete Rechtsanwalt gegen die Vergütungsfestsetzung im Ausgangsverfahren Erinnerung nach § 56 RVG ein.
Der Erinnerungsgegner beantragte dagegen, die Erinnerung aus Gründen der angefochtenen Entscheidung zurückzuweisen.
Gegenstand des Erinnerungsverfahrens war lediglich die Kürzung der in Ansatz gebrachten Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV.
Zur Begründung führte der beigeordnete Rechtsanwalt und Erinnerungsführer im Wesentlichen aus, die Festsetzung der gekürzten Verfahrensgebühr sei rechtsfehlerhaft. Synergieeffekte entstünden, wenn sich bei einem Verfahren aufgrund Vorbefassung in einem anderen, nahezu identischen Verfahren die anwaltliche Tätigkeit nach Arbeits- und Zeitaufwand deutlich verringere.
Für das vorliegende arbeitsintensivere Ausgangsverfahren sei keine Synergie gegeben.
Nach Nichtabhilfe der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle wurde die Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV in beantragter Höhe auf 300,00 EUR nebst entsprechender Umsatzsteuer durch Entscheidung des Gerichts festgesetzt.
Die Erinnerung war erfolgreich.
2 Aus den Gründen
Die Erinnerung ist zulässig und begründet.
Die von der Staatskasse gem. § 55 RVG zu erstattenden Gebühren und Auslagen sind unzutreffend auf lediglich 511,70 EUR festgesetzt worden. Der Erinnerungsführer hat Anspruch auf Festsetzung weiterer 119,00 EUR, da in Bezug auf die Verfahrensgebühr die geltend gemachte Mittelgebühr in Höhe von 300,00 EUR festzusetzen war. Die Kürzung erfolgte rechtsfehlerhaft.
Die Mittelgebühr war unter Berücksichtigung der nach § 14 RVG maßgebenden Kriterien entgegen der Auffassung der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle nicht zu kürzen. Vorliegend handelt es sich um einen durchschnittlichen Fall.
Synergieeffekte sind nach Auffassung des Gerichts vorliegend nicht zu berücksichtigen. Die Gebühr im "führenden" Verfahren ist stets so zu bemessen, als ob der Rechtsanwalt nur dieses eine Verfahren betrieben hätte. Für den Fall, dass er weitere gleichgelagerte Klageverfahren geführt hat, ist einzelfallbezogen zu prüfen, in welchem Umfang von einer Arbeitserleichterung auszugehen ist (so auch Bayerisches LSG, Beschl. v. 2.12.2011 – L 15 SF 28/11 B E). Dies könnte nach Ansicht der Kammer gegebenenfalls anders zu beurteilen sein, wenn in ähnlich gelagerten Sachverhalten nahezu zeitgleich Klage mit nahezu identischen Klagebegründungen und im Weiteren nahezu identischen Schriftsätzen erhoben wird. So liegt der Fall hier jedoch jedenfalls nicht. Die wesentliche Arbeit hatte der Erinnerungsführer im Hinblick auf die rechtliche Schwierigkeit und den Umfang der Angelegenheit im "führenden" Verfahren zu leisten. In den beiden weiteren Klageverfahren erfolgte dann identischer Vortrag. Zu Recht erfolgte dann unter Hinweis auf Synergieeffekte eine Kürzung der Gebühren in den beiden anderen ähnlich gelagerten Fällen, was der Erinnerungsführer dort im Ergebnis auch akzeptiert hat.
Bei der Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV ist hingegen die Mittelgebühr aus den im angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss genannten Gründen auf 210,00 EUR zu kürzen.
3 Anmerkung
Di...