Die Konsequenzen der BGH-Rechtsprechung sollen anhand von zwei folgenden Beispielen verdeutlicht werden.

I.

 

Beispiel 1

Der Anwalt vertritt zwei Beklagte A und B, die gesamtschuldnerisch auf Zahlung eines Betrages i.H.v. 20.000,00 EUR in Anspruch genommen werden. Dem A wird auf Antrag ratenfreie Prozesskostenhilfe (PKH) bewilligt. B beantragt keine PKH, da für ihn die Voraussetzungen hierzu nicht vorliegen. Das Gericht bewilligt daraufhin dem A ratenfreie PKH und ordnet den Anwalt bei. Allerdings beschränkt das Gericht – entsprechend der obigen Rspr. des BGH – die bewilligte PKH auf die Gebührenerhöhung nach Nr. 1008 VV.

Nach der Rechtsprechung des BGH wäre der Anwalt jetzt gehalten, wie folgt abzurechnen:

Von B würde der Anwalt nach den Wahlanwaltsgebührenbeträgen erhalten:

 
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV, § 13 RVG   964,60 EUR
  (Wert: 20.000,00 EUR)    
2. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV, § 13 RVG   890,40 EUR
  (Wert: 20.000,00 EUR)    
3. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 1.875,00 EUR  
4. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   356,25 EUR
Gesamt   2.231,25 EUR

Aus der Landeskasse würde der Anwalt darüber hinaus nach den Beträgen des § 49 RVG erhalten:

 
1. 0,3-Gebührenerhöhung, Nr. 1008 VV, § 49 RVG 108,90 EUR
  (Wert: 20.000,00 EUR)  
2. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV 20,69 EUR
Gesamt 129,59 EUR

Diese Beträge zieht der Anwalt ein.

Nunmehr wird die Klage abgewiesen. Die Kostenfestsetzung wird durchgeführt. Der Kläger ist zahlungsunfähig. Kostenerstattungsansprüche sind nicht zu realisieren.

Faktisch hätte jetzt der Beklagte B den gesamten Prozess alleine finanziert (mit Ausnahme der Gebührenerhöhung).

Ein Gesamtschuldnerausgleich dürfte nicht möglich sein, da es an einer gesamtschuldnerischen Haftung fehlt.

Nach der Logik des BGH haftet der A nach § 7 Abs. 2 RVG in voller Höhe auf die Anwaltsvergütung, die angefallen wäre, wenn er den Auftrag alleine erteilt hätte.

Der Beklagte B würde dem Anwalt gegenüber dagegen wegen § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nicht haften; jedenfalls wäre diese Forderung nicht durchsetzbar. Das muss dann auch im Rahmen des Gesamtschuldnerausgleichs berücksichtigt werden. Anderenfalls säße die bedürftige Partei zwischen den Stühlen. Sie würde einerseits von der Landeskasse keine Freistellung erhalten, müsste andererseits aber die hälftigen Wahlanwaltsgebühren dem anderen Mitbeklagten erstatten.

Wandelt man das vorstehende Beispiel dahingehend ab, dass neun Auftraggeber vorhanden sind, von denen nur einer bedürftig ist, müssten die anderen sieben Auftraggeber den achten Auftraggeber kostenlos mit "durchschleppen".

 

Abwandlung

Die Klage richtet sich gegen eine aus neun Personen bestehende Erbengemeinschaft. Nur einer der Miterben ist bedürftig, während die anderen acht Auftraggeber vermögend sind.

Da jetzt durch die acht Auftraggeber bereits die Höchstgrenze der Gebührenerhöhung von 2,0 erreicht ist, würde für den neunten Auftraggeber keine zusätzliche Vergütung mehr anfallen, sodass ein Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe abzulehnen wäre.

Das würde aber bedeuten, dass die übrigen acht Miterben den neunten Erben kostenlos mit "durchschleppen" müssten.

II.

Der BGH hatte hier nur einen Fall zu entscheiden, in dem der Vertretung beider Parteien derselbe Streitgegenstand zugrunde lag. Möglich sind aber auch Fälle, in denen vermögender und nicht vermögender Streitgenosse jeweils eigene Ansprüche geltend machen bzw. gegen sie eigene Ansprüche erhoben werden. In diesem Fall fällt keine Gebührenerhöhung nach Nr. 1008 VV an; vielmehr rechnet der Anwalt insgesamt aus dem Gesamtwert (§ 23 Abs. 1 S. 1 RVG i.V.m. § 39 Abs. 1 GKG) ab, wobei er hier dann gegenüber den einzelnen Auftraggeber nur nach dem Wert abrechnen kann, an dem diese beteiligt sind (§ 7 Abs. 2 RVG).

 

Beispiel 2

Die beiden Beklagten A und B werden auf Zahlung jeweils 10.000,00 EUR verklagt. Das Gericht bewilligt dem Beklagten B ratenfreie PKH, soweit er sich gegen den gegen ihn erhobenen Anspruch i.H.v. 10.000,00 EUR wehrt, und beschränkt die PKH in Anwendung der BGH-Rechtsprechung auf die Differenzgebühren zwischen 10.000,00 EUR und 20.000,00 EUR.

Der Anwalt rechnet jetzt gegenüber dem Beklagten A nach den Wahlanwaltsbeträgen wie folgt ab:

 
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV, § 13 RVG   471,90 EUR
  (Wert: 10.000,00 EUR)    
2. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV, § 13 RVG   435,60 EUR
  (Wert: 10.000,00 EUR)    
3. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 927,50 EUR  
4. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   176,23 EUR
Gesamt   1.103,73 EUR

Für den Beklagten B muss die Landeskasse folgende Vergütung nach den Beträgen des § 49 RVG zahlen:

 
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV, § 49 RVG   471,90 EUR
  (Wert: 20.000,00 EUR)    
2. ./. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV, § 49 RVG   – 399,10 EUR
  (Wert: 10.000,00 EUR)    
3. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV, § 49 RVG   435,60 EUR
  (Wert: 20.000,00 EUR)    
4. ./. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV, § 49 RVG   – 368,40 EUR
  (Wert: 10.000,00 EUR)    
  Zwischensumme 140...

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