§ 91 ZPO; Nrn. 7003 ff. VV RVG
Leitsatz
Auch dann, wenn das Gericht dem Anwalt und seiner Partei nach § 128a ZPO die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung per Video von einem anderen Ort gestattet hat, sind die Kosten Reisekosten des Anwalts und der Partei erstattungsfähig, wenn sie dennoch am Termin teilnehmen.
LG Frankenthal, Beschl. v. 8.9.2023 – 3 O 103/21; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 9.10.2023 – 6 W 47/23
I. Sachverhalt
Der Kläger hatte durch den an seinem Gerichtsort ansässigen Rechtsanwalt vor dem auswärtigen LG Frankenthal Klage erhoben. Das LG hatte den Parteien und ihren Anwälten gem. § 128a ZPO gestattet, an der mündlichen Verhandlung per Video teilzunehmen. Ungeachtet dessen ist der Rechtsanwalt persönlich zum Termin angereist und hat dort an der mündlichen Verhandlung teilgenommen. Im nachfolgenden Kostenfestsetzungsverfahren hat der Kläger auch die Reisekosen seines Rechtsanwalts zur Erstattung angemeldet. Hiergegen hat sich der Beklagte gewandt und geltend gemacht, die angemeldeten Reisekosten seien nicht erstattungsfähig. Die Reise sei nicht notwendig gewesen, da der Rechtsanwalt per Video an der Verhandlung hätte teilnehmen können. Es habe keine Notwendigkeit bestanden, persönlich anzureisen. Die Rechtspflegerin des LG hat die Reisekosten antragsgemäß festgesetzt.
II. Gestattung und keine Verpflichtung
Die Teilnahme an einer Verhandlung per Video gem. § 128a ZPO ist nicht verpflichtend. Nach dem Gesetz ist den Rechtsanwälten und den Parteien die Teilnahme per Video zu "gestatten". Daher steht es dem Rechtsanwalt und der Partei frei, dennoch zur mündlichen Verhandlung vor dem Gericht persönlich zu erscheinen. Entschließt sich ein Prozessbevollmächtigter dazu, persönlich zum Termin anzureisen, handelt es sich um zweckentsprechende Kosten der Rechtsverfolgung bzw. -verteidigung, die nach § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO notwendig und daher erstattungsfähig sind.
III. Bestätigung durch das OLG
Das OLG Zweibrücken hat die gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin erhobene sofortige Beschwerde "aus den zutreffenden Gründen" zurückgewiesen.
IV. Bedeutung für die Praxis
1. Reisekosten des Anwalts am Sitz der Partei sind grundsätzlich erstattungsfähig
Nach der Rspr. des BGH und gefestigter Instanzrspr. muss eine Partei für einen Rechtsstreit vor einem auswärtigen Gericht nicht einen dort ansässigen Anwalt mandatieren, sondern darf grds. einen Anwalt an ihrem Wohnsitz bzw. an ihrer Niederlassung beauftragen (NJW 2003, 898; NJW-RR 2004, 858). Die dann entstehenden Reisekosten zum Termin sind in diesem Fall erstattungsfähig.
2. Keine Vergleichsberechnung mit den Kosten eines Terminsvertreters
Die Reisekosten sind auch dann erstattungsfähig, wenn die Kosten eines Terminsvertreters günstiger gewesen wären (BGH NJW-RR 2005, 1662). Nur im umgekehrten Fall findet eine Vergleichsberechnung statt. Die tatsächlichen Reisekosten eines Rechtsanwalts dürfen dagegen die ersparten Kosten eines Terminsvertreters unbegrenzt übersteigen. Der Grund hierfür liegt darin, dass sich eine Partei immer durch einen an ihrem Sitz bzw. an ihrer Niederlassung ansässigen Anwalt vertreten lassen darf. Ausnahmen gelten nur dann, wenn es der Partei aufgrund ihrer besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten ohne Weiteres möglich ist, einen Anwalt vor Ort zu beauftragen.
3. Auch Reisekosten der Partei sind erstattungsfähig
Ebenso sind die Reisekosten der Partei zu einem Termin immer erstattungsfähig. Eine Partei hat immer das Recht, am eigenen Termin teilzunehmen (OLG Koblenz AGS 2010, 102; OLG Saarbrücken AGS 2012, 496). Wer besser als die Partei kann zur Aufklärung des Sachverhalts beitragen? Wer besser als die eigene Partei kann einem Zeugen oder Gegner Vorhalte machen, wenn dieser die Unwahrheit sagt? Wer besser als die Partei selbst kann entscheiden, ob ein Vergleich geschlossen wird oder nicht?
4. Die Gestattung der Teilnahme per Video ist unerheblich
An diesen Grundsätzen hat sich durch die Einführung der Möglichkeit, am gerichtlichen Verhandlungstermin per Videokonferenz teilzunehmen, nichts geändert. Insbesondere kann die persönliche Anreise nicht als rechtsmissbräuchlich angesehen werden. Anwalt und Partei bestimmen die Taktik ihres Prozesses. Ob diese es für opportun halten, persönlich vor Gericht aufzutreten oder nicht, muss ihnen überlassen bleiben.
5. Für persönliche Teilnahme können gute Gründe sprechen
So können gute Gründe dafürsprechen, von einer Videokonferenz abzusehen und persönlich zu erscheinen. Spontanität, Körpersprache, nonverbale Kommunikation und körperliche Reaktionen gehen oftmals aufgrund der Distanz verloren. Gebärden, Gesichtsausdruck, Gestikulieren und körperliche Bewegungen außerhalb des Kamerafeldes kommen bei einer Videoübertragung in vielen Fällen, gewollt oder ungewollt, nicht an. Persönlicher Ausdruck besteht nicht nur aus Worten, sondern ebenso aus Gestik und Mimik. Diese führen häufig zu Reaktionen, welche dem Prozess dienlich sind. Darüber hinaus sieht so mancher Mandant erst in der direkten Konfrontation das Erfordernis, unangenehme oder schwierige Themen anzusprechen.
Rechtsanwalt Norbert Schneider, Neunkirchen
AGS 11/2023, S. ...