Leitsatz
- Einigen sich die Parteien in einem Abmahnungsrechtsstreit auf die Beendigung des Arbeits- oder Ausbildungsverhältnisses, führt dies zu einem Vergleichsmehrwert, wenn aufgrund objektiver Umstände anzunehmen ist, dass ohne die Einigung eine der Parteien das Rechtsverhältnis beenden oder seinen rechtlichen Bestand in Frage stellen wird.
- Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe auch für den Mehrvergleich führt nicht zu einer Ermäßigung der Einigungsgebühr nach Nr. 1003 VV.
LAG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 9.8.2016 – 17 Ta (Kost) 6058/16
1 Sachverhalt
Der Kläger hatte die Beklagte im Ausgangsverfahren auf Zahlung von rückständiger Ausbildungsvergütung, auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses sowie auf Entfernung einer Abmahnung in Anspruch genommen, wobei er Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten beantragte. Die Parteien legten den Rechtsstreit durch gerichtlichen Vergleich bei; sie einigten sich dabei u.a. auf die Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses, eine Freistellung des Klägers von der betrieblichen Ausbildung, die Erteilung eines Endzeugnisses und die Herausgabe von Arbeitsmitteln. Vor der Genehmigung des protokollierten Vergleichs beantragte der Prozessbevollmächtigte des Klägers "die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung auch für den Mehrwert des gerichtlichen Vergleichs." Das Gericht teilte den Parteien mit, es sei beabsichtigt, den Verfahrenswert auf 2.911,79 EUR und den Vergleichsmehrwert auf insgesamt 850,15 EUR festzusetzen; eine Wertfestsetzung erfolgte nicht.
Das ArbG bewilligte dem Kläger Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten "auch für den Mehrwert des abgeschlossenen Vergleichs".
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers beantragte hiernach die Festsetzung einer Vergütung i.H.v. 1.152,75 EUR. Der Rechtspfleger setzte eine Vergütung i.H.v. 1.070,64 EUR fest, wobei er u.a. lediglich eine 1,0-Einigungsgebühr, berechnet nach einem Wert von 3.761,94 EUR, berücksichtigte. Die hiergegen eingelegte Erinnerung des Prozessbevollmächtigten des Klägers wies das ArbG mit der Begründung zurück, die Einigungsgebühr habe sich wegen des Prozesskostenhilfeverfahrens nach Nr. 1003 VV auf 1,0 ermäßigt; es hat die Beschwerde gegen diese Entscheidung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten des Klägers, mit der er seinen Vergütungsansatz weiter verfolgt. Der Bezirksrevisor bei dem LAG ist der Beschwerde mit der Auffassung entgegengetreten, der Verfahrenswert betrage 3.246,19 EUR, was zu einem Vergütungsanspruch gegen die Landeskasse i.H.v. 1.073,38 EUR führe; ein Vergleichsmehrwert sei nicht entstanden.
2 Aus den Gründen
Die nach § 56 Abs. 2 S. 1, § 33 Abs. 3 S. 2, 3, Abs. 7 RVG statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist begründet.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat gegen die Landeskasse gem. § 45 RVG einen Vergütungsanspruch von jedenfalls 1.152,75 EUR, so dass unter Änderung des angefochtenen Beschlusses und des Vergütungsfestsetzungsbeschlusses eine weitere Vergütung von 82,11 EUR festzusetzen war.
1. Dem Prozessbevollmächtigten des Klägers steht eine 1,3-Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV), eine 1,2-Terminsgebühr (Nr. 3104 VV) sowie eine 1,0-Einigungsgebühr (Nrn. 1000, 1003 VV) zu, die sich nach einem Wert von 3.246,19 EUR berechnen. Dabei sind die bezifferten Klageanträge zu 2), 3), 5) und 7) bis 10) in Höhe des jeweils geltend gemachten Betrags zu bewerten, was einen Wert von insgesamt 1.908,59 EUR ergibt. Den Klagen auf Entfernung der Abmahnung und auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses kommt ein Wert von jeweils 668,80 EUR – einer Bruttomonatsvergütung des Klägers – zu, was einen weiteren Wertansatz von 1.337,60 EUR ergibt.
2. Der Prozessbevollmächtigten kann ferner eine 1,5-Einigungsgebühr (Nr. 1000 VV) nach einem Wert von 2.006,40 EUR – dem Vierteljahresverdienst des Klägers – verlangen.
a) Das ArbG hat einen Vergleichsmehrwert nicht festgesetzt; die zu Protokoll gegebene Wertabsichtserklärung, wonach lediglich ein Vergleichsmehrwert von 850,15 EUR entstanden sein soll, entfaltet keine rechtliche Bindung für das Vergütungsfestsetzungsverfahren.
b) Die Voraussetzungen für einen Vergleichsmehrwert liegen hinsichtlich der in Nr. 1 des gerichtlich protokollierten Vergleichs getroffenen Aufhebungsvereinbarung vor, während die weiteren Vergleichsregelungen nicht zu einem Vergleichsmehrwert führen.
aa) Die anwaltliche Einigungsgebühr entsteht für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrags, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht (Nr. 1000 VV). In den Wert eines Vergleichs sind daher die Werte aller rechtshängigen oder nichtrechtshängigen Ansprüche einzubeziehen, die zwischen den Parteien streitig oder ungewiss waren und die mit dem Vergleich geregelt wurden. Wird durch den Vergleich eine bereits bestehende Ungewissheit über das Bestehen ...