RVG VV Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2; VwGO §§ 151, 165
Leitsatz
Eine fiktive Terminsgebühr entsteht im Falle eines Gerichtsbescheids nur dann, wenn die vertretene Partei zulässigerweise einen Antrag auf mündliche Verhandlung stellen kann. Das ist nicht der Fall, wenn der Gerichtsbescheid in vollem Umfang zu ihren Gunsten ergangen ist.
VG München, Beschl. v. 5.10.2020 – M 1 M 19.50003
1 Sachverhalt
Mit Gerichtsbescheid hatte das VG den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge v. 19.3.2015, der den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ablehnte und die Abschiebung nach Italien im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens anordnete, aufgehoben. Aufgrund des vollumfänglichen Erfolgs der Klage, wurden im Gerichtsbescheid die Kosten der Antragsgegnerin auferlegt.
Daraufhin beantragte der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers die Kostenfestsetzung. Neben einer 1,3-Verfahrensgebühr machte er u.a. auch eine 1,2-Terminsgebühr gem. Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV geltend.
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss kürzte das VG die beantragten Kosten um die Terminsgebühr. Begründet wurde dies damit, dass zwar ein Gerichtsbescheid ergangen sei, aufgrund des vollständigen Obsiegens in der Hauptsache aber mangels Bestehen eines Rechtsschutzbedürfnisses ein Antrag auf mündliche Verhandlung offensichtlich unzulässig gewesen wäre (Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV).
Hiergegen beantragte der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten die Entscheidung des Gerichts.
Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, entscheidend sei, ob ein Antrag auf mündliche Verhandlung überhaupt gestellt werden könne. Dies sei für die Gegenseite möglich gewesen. Deshalb sei die fiktive Terminsgebühr angefallen.
Die Urkundsbeamtin hat der Erinnerung nicht abgeholfen und sie dem Gericht zur Entscheidung vorgelegt.
2 Aus den Gründen
Die Erinnerung ist unbegründet. Die Kostenbeamtin hat zu Recht bei der Festsetzung der dem Kläger zu erstattenden Kosten (§§ 164, 162 Abs. 1 u. 2 VwGO) die beantragte Terminsgebühr nicht festgesetzt. Eine mündliche Verhandlung fand nicht statt, sodass es allein um die Frage der Erstattung einer fiktiven Terminsgebühr geht. Diese ist vorliegend nicht zu gewähren, da abgesehen davon, dass eine mündliche Verhandlung nicht beantragt wurde, diese auch nicht in zulässiger Weise hätte beantragt werden können.
Das RVG sieht in Nr. 3104 Fälle der Erstattung einer fiktiven Terminsgebühr vor. So entsteht gem. Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV die Terminsgebühr auch dann, wenn nach § 84 Abs. 1 S. 1 VwGO durch Gerichtsbescheid entschieden wird und eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann.
Vorliegend wurde durch Gerichtsbescheid entschieden; die weitere Voraussetzung der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV fehlt jedoch. Der Antragssteller hätte zwar formal die Möglichkeit gehabt, innerhalb von zwei Wochen nach Erlass des ihm vollumfänglich stattgebenden Gerichtsbescheids mündliche Verhandlung zu beantragen. Ein solcher Antrag wäre jedoch durch Beschluss als unzulässig abzulehnen gewesen. Gegen einen Gerichtsbescheid kann nur derjenige Beteiligte einen zulässigen Antrag auf mündliche Verhandlung stellen, der durch den Gerichtsbescheid beschwert ist (vgl. Schübel-Pfister, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl., 2019, § 84 Rn 21). Der Antragsteller konnte somit keine mündliche Verhandlung erzwingen (vgl. VG Regensburg, Beschl. v. 9.3.1016 – RN 2 M 16.30211 m.w.N.).
Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV soll ebenso wie die übrigen Nummern des Absatzes verhindern, dass für den Anwalt ein gebührenrechtlicher Anreiz entsteht, auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu bestehen. Vielmehr soll der Rechtsanwalt die Entscheidung, ob auf eine mündliche Verhandlung verzichtet werden kann, ohne Rücksicht auf finanzielle Erwägungen allein nach verfahrensbezogenen Gesichtspunkten treffen (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 16.8.2018 – 2 OA 1541/17). Bei fehlender Beschwer – die im Fall einer obsiegenden Klage besonders augenscheinlich ist – hat es der Anwalt nicht in der Hand, durch sein Prozessverhalten eine mündliche Verhandlung zu erzwingen. Dieser Sinn und Zweck ergibt sich auch aus den Gesetzesmaterialien. In der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz heißt es, die Entstehung der fiktiven Terminsgebühr solle konsequent auf die Fälle beschränkt werden, in denen der Anwalt durch sein Prozessverhalten eine mündliche Verhandlung erzwingen könne, weil nur in diesem Fall eine Steuerungswirkung notwendig sei (BR-Drucks 517/12, 428; im Ergebnis wie hier: BayVGH, Beschl. v. 24.10.2018 – 5 C 18.1932 [= AGS 2018, 554]; VG München, Beschl. v. 4.2.2019 – M 1 M 18.52807 Beschl. v. 4.12.2017 – M 3 M 17.52950; a.A.: BayVGH, Beschl. v. 27.2.2020 – 8 C 18.1889; VG München, Beschl. v. 2.7.2020 – M 19 M 20.31249).
AGS 12/2020, S. 570 - 571