RVG §§ 7 Abs. 1, 15 Abs. 3 RVG VV Nrn. 1008, 3100

Leitsatz

  1. Nr. 1008 VV stellt keine selbstständige Gebühr dar, sondern führt lediglich zur Erhöhung des Gebührensatzes einer anderen Gebühr.
  2. Vertritt der Anwalt hinsichtlich der Klageforderung nur einen Auftraggeber, hinsichtlich der Widerklage dagegen mehrere Auftraggeber, so erhält er aus dem Wert der Klageforderung die einfache 1,3-Verfahrensgebühr und aus dem Wert der Widerklage eine nach Nr. 1008 VV erhöhte Verfahrensgebühr. Beide Gebühren dürfen jedoch nicht den Gesamtbetrag einer Gebühr aus dem höchsten Gebührensatz nach dem Gesamtwert übersteigen.

LG Saarbrücken, Beschl. v. 16.11.2011 – 12 O 155/10

1 Sachverhalt

Der Anwalt hatte für den Kläger dessen Schaden aus einem Verkehrsunfall in Höhe von 7.325,37 EUR eingeklagt. Der Beklagte hat daraufhin in Höhe von 4.626,16 EUR Widerklage gegen den Kläger erhoben und gleichzeitig Drittwiderklage gegen dessen Versicherer. Der Anwalt des Klägers wurde auch insoweit mit der Vertretung beauftragt. Nach Abschluss des Rechtsstreits meldete er für seine Parteien die entstandenen Anwaltskosten zur Festsetzung an und zwar hinsichtlich der Verfahrensgebühr wie folgt:

 
Praxis-Beispiel
 
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV     
  (Wert: 7.325,37 EUR) 535,60 EUR  
2. 1,6-Verfahrensgebühr, Nrn. 3100, 1008 VV     
  (Wert: 4.626,16 EUR) 481,60 EUR  
  gem. § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als 1,6    
  aus 12.405,63 EUR   841,60 EUR

Der Rechtspfleger setzte dagegen lediglich eine einfache Gebühr aus dem Gesamtwert fest und eine "0,3-Erhöhungsgebühr" aus dem Wert der Widerklage:

 
Praxis-Beispiel
 
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV     
  (Wert: 12.405,63 EUR)   683,80 EUR
2. 0,3-Erhöhungsgebühr, Nr. 1008 VV     
  (Wert: 4.626,16 EUR)   90,30 EUR
Gesamt 774,10 EUR

Die hiergegen erhobene Erinnerung hatte Erfolg.

2 Aus den Gründen

Auf Klägerseite sind richtigerweise Kosten in Höhe von insgesamt 1.608,34 EUR zu berücksichtigen. Die Verfahrensgebühr beträgt nämlich, wie von Klägerseite zur Festsetzung beantragt, 841,60 EUR. Die für Klage und Widerklage anzusetzende Verfahrensgebühr ist nicht auf einen Betrag von 774,10 EUR (1,3-Gebühr aus dem Streitwert der Klage zuzüglich 0,3-Erhöhung aus dem Widerklagestreitwert) begrenzt.

Maßgeblich ist hier § 15 Abs. 3 RVG. Danach ist in dem Fall, dass für Teile des Gegenstands (wie hier für Klage und Widerklage) verschiedene Gebührensätze anzuwenden sind, die Gebühr auf die "aus dem Gebührenbetrag der Wertteile nach dem höchsten Gebührensatz berechnete Gebühr" begrenzt. Diese Regel ist auch dann anzuwenden, wenn für beide Teile des Gegenstandes verschieden hohe Verfahrensgebühren (einmal mit, einmal ohne Erhöhung gem. Nr. 1008 VV) anfallen. Bei der Gebührenerhöhung gem. Nr. 1008 VV handelt es sich nämlich nicht um eine eigenständige Gebühr, sondern nur um eine Regel, wann sich die Verfahrensgebühr erhöht, was sich schon aus dem Gesetzeswortlaut ergibt (siehe statt aller Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 17. Aufl., Nr. 1008 VV Rn 3).

Der Auffassung, Nr. 1008 VV sei lex specialis zu § 15 Abs. 3 RVG, kann demgegenüber nicht gefolgt werden. Hierfür gibt schon der Wortlaut nichts her, da Nr. 1008 VV und § 15 Abs. 3 RVG schlicht verschiedene Dinge regeln. Demnach geht auch das Argument fehl, wenn der Gesetzgeber im Rahmen von Nr. 1008 VV die Geltung von § 15 Abs. 3 RVG habe anordnen wollen, hätte es nahegelegen, auch dort wie in § 15 Abs. 3 RVG von "verschiedenen Gebührensätzen" zu sprechen (so Müller-Rabe, a.a.O., Rn 207). Dafür bestand aus den genannten Gründen keine Veranlassung, weil sich die Unanwendbarkeit von § 15 Abs. 3 RVG überhaupt nicht aus dem Wortlaut von Nr. 1008 VV ergibt (so im Ergebnis auch AG Augsburg AGS 2009, 434).

Vorliegend ist aus dem Streitwert der Klage auf Klägerseite eine 1,3-Gebühr angefallen und aus dem Streitwert der Widerklage eine 1,6-Gebühr; die Summe dieser Gebühren beträgt 535,60 EUR + 481,60 EUR = 1017,20 EUR. Der Höchstgebührensatz ist nach dem vorstehend Gesagten die 1,6-Gebühr. Sie beläuft sich aus dem zusammengerechneten Wert von Klage und Widerklage auf 841,60 EUR, liegt also unter der soeben errechneten Summe. Auf diesen Betrag ist damit die Verfahrensgebühr gem. § 15 Abs. 3 RVG begrenzt.

Mitgeteilt von RA Guido Merten, Völklingen

3 Anmerkung

Wie abzurechnen ist, wenn der Rechtsanwalt nur hinsichtlich eines Teils der Gesamtforderung mehrere Auftraggeber hat, war in Rspr. und Lit. bereits zu BRAGO-Zeiten umstritten. Die Rspr. hat weitgehend genau so wie der Rechtspfleger im vom LG Saarbrücken entschiedenen Fall gerechnet.[1] Dem hat das Schrifttum weitgehend zugestimmt.[2]

Die Gegenauffassung rechnet wie das LG Saarbrücken.[3]

Die Auffassung des Rechtspflegers hat den Gesetzeswortlaut für sich.

Zunächst ist zu ermitteln, in welcher Höhe für den Rechtsanwalt für seine Vertretung in dem Rechtsstreit die – nicht erhöhte – Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV angefallen ist. Diese ist hier nach einem Gegenstandswert von 12.405,63 EUR in Höhe von 683,80 EUR entstanden.

Diese Verfahrensgebühr erhöht sich für jede weitere Person um den S...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?