Die Entscheidung des LSG Niedersachsen-Bremen ist unzutreffend. Sie widerspricht sowohl dem Gesetzeswortlaut als auch dem Sinn und Zweck des Gesetzes und lässt sich nur durch die bekannte Motivation der Sozialgerichtsbarkeit erklären, Anwaltsvergütungen in rechts- und zum Teil verfassungswidriger Weise zu beschneiden.

Zum Gesetzeswortlaut

Der Wortlaut des Gesetzes ist eindeutig. Das Gesetz fordert lediglich einen schriftlichen Vergleich.

  Was ein Vergleich ist, ergibt sich aus § 779 BGB.
  Was unter Schriftlichkeit zu verstehen ist, ergibt sich wiederum aus § 126 BGB.

Was soll angesichts dieser eindeutigen Rechtslage noch auszulegen sein? Dem Gesetzgeber kann doch wohl nicht unterstellt werden, dass er im Rahmen des RVG von seinen eigenen gesetzlichen Definitionen abweichen wollte.

Dagegen spricht, dass dem Gesetzgeber des RVG durchaus der Unterschied zwischen einem schriftlichen Vergleich und einem nach § 278 Abs. 6 ZPO festgestellten Vergleich bekannt war. Liest man nämlich einmal die Vorschrift der Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3101 VV, nach der der Anwalt bei Protokollierung eines Vergleichs über nicht anhängige Gegenstände eine Verfahrensdifferenzgebühr erhält, so wird man feststellen, dass dort ausdrücklich ein nach § 278 Abs. 6 ZPO festgestellter Vergleich gefordert wird. Der Gesetzgeber hat also sehr genau unterschieden, wann er einen schriftlichen Vergleich ausreichen lässt und wann der Vergleich nach § 278 Abs. 6 ZPO gerichtlich festgestellt sein muss.

Zum Sinn und Zweck

Die Vorschrift der Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3104 VV ist mit Einführung des RVG erklärtermaßen geschaffen worden, um die Gerichte zu entlasten. Während früher eine Termins- bzw. Erörterungsgebühr bei Abschluss eines Vergleichs nur verdient werden konnte, wenn der Vergleich in einem gerichtlichen Termin geschlossen wurde, soll der Anwalt nach dem RVG die Terminsgebühr auch ohne den gerichtlichen Termin verdienen können. Ein Anwalt, der dem Gericht die Protokollierung in einem Termin erspart, weil er sich mit einem Vergleich im Beschlusswege einverstanden erklärt, soll deshalb nicht die Terminsgebühr verlieren. Andernfalls bestünde doch wieder der Anreiz, nur zum Zwecke des Vergleichsabschlusses einen gerichtlichen Termin zu beantragen.

Ein Anwalt, der dem Gericht darüber hinaus aber auch noch die Arbeit der gerichtlichen Feststellung durch Beschluss nach § 278 Abs. 6 ZPO erspart, indem er den Vergleich selbst mit dem Gegner schriftlich fixiert, stünde schlechter, wenn man die Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3104 VV und Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3106 VV nur auf Vergleiche nach § 278 Abs. 6 ZPO anwenden würde. Dies würde gerade dem Sinn und Zwecke der Vorschriften, nämlich die Gerichte zu entlasten, zuwiderlaufen. Es würde wiederum ein Anreiz bestehen, das Gericht zumindest mit der Beschlussfeststellung zu belasten.

Zur Einheitlichkeit der Rechtsprechung

Soweit sich das LSG Niedersachsen-Bremen auf eine Vereinheitlichung der Rechtsprechung beruft, spricht auch das genau gegen seine Auffassung. In der Zivilgerichtsbarkeit ist nämlich schon lange klar, dass ein privatschriftlicher Vergleich ausreicht.

 
Hinweis

Noch nicht einmal der Abschluss eines Vergleichs nach § 278 Abs. 6 ZPO ist erforderlich, sondern die Terminsgebühr wird z.B. auch dann fällig, wenn nach Einreichung der Klage ein privatschriftlicher Vergleich zwischen den Parteien abgeschlossen wird.

LAG Hamburg, Beschl. v. 16.8.2010 – 4 Ta 16/10[8]

Norbert Schneider

AGS 2/2016, S. 69 - 76

[8] RVGprof. 2010, 192 = RVGreport 2011, 110; ebenso N. Schneider, NJW-Spezial 2014, 283; AnwK-RVG/Onderka, 7. Aufl., 2014, Nr. 3104 Rn 78; Bischof/Jungbauer, RVG, 6. Aufl., 2014, Nr. 3104 Rn 54; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 21. Aufl., 2013, Nr. 3104 Rn 69.

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