Leitsatz
- § 15 Abs. 5 S. 2 RVG ist nur dann anwendbar, wenn einem Rechtsanwalt nach Erledigung eines früheren Auftrags ein weiterer Auftrag erteilt worden ist (vgl. BGH, Beschl. v. 30.3. 2006 – VII ZB 69/05, NJW 2006, 1525 zur Vorgängerregelung § 13 Abs. 5 S. 2 BRAGO).
- Eine analoge Anwendung von § 15 Abs. 5 S. 2 RVG auf den Fall, dass gegen ein Versäumnisurteil nach mehr als zwei Kalenderjahren Einspruch erhoben wird, ist nicht gerechtfertigt.
OLG Brandenburg, Beschl. v. 3.11.2016 – 6 W 79/16
1 Sachverhalt
Die Klägerin hatte die Beklagte auf Feststellung der Unwirksamkeit eines notariellen Grundstückskaufvertrages in Anspruch genommen. Durch Versäumnisurteil v. 2.6.2008 hat das LG der Klage stattgegeben. Den Gebührenstreitwert hat das LG auf 1.605.763,28 EUR festgesetzt. Das im schriftlichen Verfahren ergangene Versäumnisurteil ist der Beklagten am 2.6.2008 öffentlich zugestellt worden.
Auf der Grundlage des Versäumnisurteils hat die Klägerin durch Beschl. v. 19.1.2009 die Kostenfestsetzung gegen die Beklagte in Höhe einer 1,3-Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV) sowie einer 0,5-Terminsgebühr (Nr. 3105 VV) ihrer Prozessbevollmächtigten zuzüglich Post- und Telekommunikationspauschale und Umsatzsteuer, insgesamt 13.831,13 EUR nebst Zinsen, erwirkt.
Mit Schriftsatz v. 24.1.2014 hat die Beklagte Einspruch gegen das Versäumnisurteil eingelegt und zur Begründung unter anderem geltend gemacht, das Urteil sei ihr nicht wirksam zugestellt worden. Im weiteren Prozessverlauf hat die Beklagte Widerklage erhoben.
Mit dem am 29.7.2015 verkündeten Urteil hat das LG das Versäumnisurteil aufrechterhalten und der Widerklage unter Zurückweisung im Übrigen im Hilfsantrag stattgegeben. Es hat die weiteren Kosten des Rechtsstreits der Beklagten auferlegt. Den Gebührenstreitwert hat das LG zuletzt auf 1.670.697,35 EUR (1.605.763,28 EUR Klage und 64.934,07 EUR Widerklage) festgesetzt.
Aufgrund dieses Urteils hat die Klägerin die Festsetzung weiterer Kosten in Höhe einer erneuten 1,3-Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV) und einer weiteren 1,2-Terminsgebühr (Nr. 3104 VV) nebst Post- und Telekommunikationspauschale sowie Umsatzsteuer, insgesamt 20.292,48 EUR beantragt. Sie hat geltend gemacht, nach § 15 Abs. 5 S. 2 RVG, jedenfalls aber in analoger Anwendung der Vorschrift, seien aufgrund des Ablaufs von mehr als fünf Jahren zwischen Ergehen des Versäumnisurteils und Einlegung des Einspruchs die Verfahrensgebühr und die Terminsgebühr ihrer Prozessbevollmächtigten erneut angefallen und erstattungsfähig.
Die Rechtspflegerin hat die angemeldeten Kosten antragsgemäß gegen die Beklagte festgesetzt. Dagegen wendet sich die Beklagte mit der sofortigen Beschwerde, mit der sie begehrt, den weiteren Festsetzungsantrag insgesamt zurückzuweisen.
2 Aus den Gründen
Die gem. § 11 Abs. 1 RPflG, §§ 104 Abs. 3, 567 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2, 569 ZPO zulässige sofortige Beschwerde der Beklagten ist teilweise begründet und im Übrigen unbegründet.
Entgegen der Ansicht der Rechtspflegerin sind die Verfahrens- und die Terminsgebühr der Prozessbevollmächtigten der Klägerin nach Einspruch gegen das Versäumnisurteil nicht noch einmal entstanden. Den Prozessbevollmächtigten der Klägerin sind für ihre Vertretung der Klägerin im Rechtsstreit insgesamt eine 1,3-Verfahrens- und eine 1,2-Terminsgebühr nach dem Gebührenstreitwert von Klage und Widerklage (1.670.697,35 EUR) entstanden. Da die Höhe dieser Gebühren nebst Telekommunikationspauschale (Nr. 7002 VV) und Umsatzsteuer (Nr. 7008 VV) den mit Kostenfestsetzungsbeschluss v. 19.1.2009 festgesetzten Betrag von 13.831,13 EUR übersteigt, ist der Differenzbetrag von 5.369,52 EUR zugunsten der Klägerin gegen die Beklagte als weiterer Erstattungsbetrag festzusetzten.
1) Der Rechtsanwalt kann die Gebühren in derselben Angelegenheit und demselben prozessualen Rechtszug grundsätzlich nur einmal verlangen, § 15 Abs. 2 RVG. Wird der Rechtsanwalt, nachdem er in einer Angelegenheit tätig geworden ist, beauftragt, in derselben Angelegenheit weiter tätig zu werden, erhält er gem. § 15 Abs. 5 S. 1 RVG nicht mehr an Gebühren, als er erhalten würde, wenn er von vornherein hiermit beauftragt worden wäre. Anders verhält es sich nach der Ausnahmeregelung des § 15 Abs. 5 S. 2 RVG nur dann, wenn der Rechtsanwalt beauftragt wird, nachdem der frühere Auftrag seit mehr als zwei Kalenderjahren erledigt war. In diesem Fall gilt gem. § 15 Abs. 5 S. 2 RVG die weitere Tätigkeit als neue Angelegenheit und im RVG bestimmte Anrechnungen von Gebühren entfallen. Voraussetzung für die Anwendung von § 15 Abs. 5 S. 2 RVG ist, dass der frühere Auftrag erledigt ist und dem Rechtsanwalt nach Erledigung ein weiterer Auftrag erteilt wird (vgl. BGH, Beschl. v. 30.3.2006 – VII ZB 69/05, NJW 2006, 1525 [= AGS 2006, 323]; Beschl. v. 11.8.2010 – XII ZB 60/08, MDR 2010, 1218 [= AGS 2010, 477]; Senat, Beschl. v. 26.3.2012 – 6 W 19/12; BayVGH, Beschl. v. 8.12.2014 – 15 M 14.2529, NJW 2015, 648 [= AGS 2015, 62]). Ohne das Erfordernis der Erteilung eines neuen Auftrages findet § 15 Abs. 5 S. 2 RVG nach S. 3 der Vorschrift in der seit...