In Rspr. und Lit. ist die Abgrenzung des Abgeltungsbereichs der Grundgebühr zur Verfahrensgebühr umstritten.
Nach einer Auffassung in der Kommentarliteratur schließen sich der Abgeltungsbereiche von Verfahrensgebühr und Grundgebühr gegenseitig aus. Beide Gebühren seien tatbestandlich voneinander abzugrenzen. Zunächst entstehe die Grundgebühr. Erst wenn deren Abgeltungsbereich beendet sei, beginne der Abgeltungsbereich der Verfahrensgebühr. Begründet wird dies damit, dass die Grundgebühr anderenfalls keinen eigenen Abgeltungsbereich mehr hätte, da ja sämtliche Tätigkeiten, die zum Entstehen der Grundgebühr führen, zugleich auch die Verfahrensgebühr auslösen würden. Damit wäre die Grundgebühr keine "Garantie- bzw. Grundlagengebühr". Das aber gerade habe der Gesetzgeber gewollt. Die Grundgebühr solle einen eigenen Abgeltungsbereich haben, nämlich die Vergütung der ersten Akteneinsicht und der mit der Übernahme des Mandats zusammenhängenden Tätigkeiten. Auch die Rspr. hat diese Auffassung bisher überwiegend vertreten.
Nach anderer Auffassung entsteht für den Verteidiger, wenn er sich in den Fall einarbeitet, nicht nur die Grundgebühr, sondern zugleich auch die jeweilige Verfahrensgebühr. Begründet wird dies damit, dass die Verfahrensgebühr nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Gesetzes (Vorbem. 4 Abs. 2 VV) "für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information" entsteht. Nun ist es aber nicht möglich, sich in die Sache einzuarbeiten, ohne Informationen entgegenzunehmen und bereits die Verteidigung zu betreiben. Auch die Akteneinsicht gehört bereits zum Betreiben des Geschäfts. Eine Regelung, dass der Anwendungsbereich der Verfahrensgebühr in Strafsachen – im Gegensatz zu sonstigen Verfahren – später einsetzen soll oder dass die Grundgebühr für einen bestimmten Zeitraum, nämlich den der Einarbeitung, den Anfall der Verfahrensgebühr ausschließt, ist weder dem Gesetz noch seiner Begründung zu entnehmen.
In der Praxis haben die unterschiedlichen Auffassungen bislang durchaus Bedeutung. Kommt es später zu weiteren Tätigkeiten über die Einarbeitung hinaus, wirkt sich die Streitfrage zwar in der Regel nicht aus, weil dann beide Gebühren entstanden sind und dem Verteidiger auch zugesprochen werden. Wenn sich die Sache jedoch in der Vorbereitungsphase erledigt, wird von vielen Gerichten nur eine isolierte Grundgebühr zugesprochen und darüber hinaus eine Verfahrensgebühr mit der Begründung abgelehnt, der Abgeltungsbereich der Grundgebühr sei noch nicht verlassen. Dabei sind Bestrebungen der Rspr. zu erkennen, den Anwendungsbereich der Grundgebühr soweit wie möglich auszudehnen, um nicht bereits in dieser frühen Phase des Mandats auch bereits eine Verfahrensgebühr zusprechen zu müssen.
Vom Gesetzgeber beabsichtigt war, dass Grund- und Verfahrensgebühr zeitgleich anfallen. Dies wird jetzt durch die hinzugesetzte Formulierung, wonach die Grundgebühr "neben der Verfahrensgebühr" anfällt, klargestellt. Die Auffassung, dass Grund- und Verfahrensgebühr voneinander abzugrenzen seien und die Verfahrensgebühr erst entstehen könne, wenn der Abgeltungsbereich der Grundgebühr beendet sei, kann danach nicht weiter vertreten werden.
Das Problem wird sich nach der neuen Gesetzeslage – wie auch zum Teil bisher – in die Gebührenbestimmung nach § 14 Abs. 1 RVG verlagern. Soweit ein Mandat schon während der Einarbeitungsphase wieder beendet wird, wird man im Rahmen der Gebührenbemessung bei der Verfahrensgebühr nach § 14 Abs. 1 RVG in der Regel von einem unterdurchschnittlichen Umfang ausgehen müssen. Auch wenn hier eine Abwägung aller Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG stattzufinden hat, muss damit gerechnet werden, dass die bisherige Gegenauffassung dazu übergeht, in dieser Phase nur die Mindestgebühr der Verfahrensgebühr zuzusprechen. Bei einem gerichtlich bestellten oder beigeordneten Anwalt wird sich das Problem wegen der Festbeträge nicht stellen.
Beispiel 4: Verfahrensgebühr neben Grundgebühr
Der Anwalt wird mit der Verteidigung in einer Strafsache beauftragt und beantragt zunächst Akteneinsicht. Noch bevor der Anwalt die Akten zur Einsichtnahme erhält, wird das Mandat gekündigt.
Auch wenn sich das Mandat noch in der Einarbeitungsphase befindet, ist neben der Grundgebühr bereits die entsprechende Verfahrensgebühr nach Vorbem. 4 Abs. 2 VV entstanden. Der geringe Umfang der anwaltlichen Tätigkeit bei der Verfahrensgebühr kann hier allerdings im Rahmen des § 14 Abs. 1 RVG zu berücksichtigen sein. Bei einer im unteren Bereich anzusetzenden Verfahrensgebühr (halbe Mittelgebühr) ergibt sich danach für den Wahlanwalt folgende Berechnung:
1. |
Grundgebühr, Nr. 4100 VV |
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200,00 EUR |
2. |
Verfahrensgebühr, Nr. 4104 VV |
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82,50 EUR |
3. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
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20,00 EUR |
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Zwischensumme |
302,50 EUR |
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4. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
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57,48 EUR |
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Gesamt |
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359,98 EUR |
Der Pflichtverteidiger würde erhalten:
1. |
Grundgebühr, Nr. 4100 VV |
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160,00 EUR |
2. |
Verfahrensgebühr, Nr. 4104 VV |
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132,00 EUR |
3. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
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