Leitsatz
- Nach mittlerweile gefestigter Rspr. des BGH und zahlreicher Oberlandesgerichte ist entgangener Gewinn, der als gleichbleibender Hundertsatz einer bestimmten Summe (Zinsen) geltend gemacht wird, eine Nebenforderung i.S.v. § 4 Abs. 1 Hs. 2 ZPO, § 43 Abs. 1 GKG der ebenfalls eingeklagten Hauptforderung und erhöht den Streitwert nicht. Auch aus der historischen Entwicklung der Norm folgt keine abweichende Beurteilung.
- Für die rechtliche Einordnung als Nebenforderung ist es unerheblich, dass der Berechnung des Schadens nicht über den gesamten Zeitraum der gleiche Hundertsatz zugrunde gelegt, sondern die Berechnung jeweils lediglich für den Zeitraum eines Jahres nach einem einheitlichen Zinssatz durchgeführt wurde.
- Die Einordnung von entgangenen Kapitalanlagezinsen als Zinsnebenforderung führt weder zu einer Beeinträchtigung des verfassungsrechtlichen Gebots effektiven Rechtsschutzes noch stellt sie einen ungerechtfertigten Eingriff in das Grundrecht der Berufsausübungsfreiheit der Parteivertreter dar.
- Die vorläufige Streitwertfestsetzung entfaltet keine irgendwie geartete Bindungswirkung für die endgültige Streitwertfestsetzung.
OLG Braunschweig, Beschl. v. 11.11.2016 – 3 W 21/16
1 Aus den Gründen
Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere gem. § 32 Abs. 2 RVG, § 68 Abs. 1 S. 1 GKG statthaft und gem. §§ 68 Abs. 1 S. 3, 63 Abs. 3 S. 2 GKG fristgemäß eingelegt.
In der Sache hat die Beschwerde keinen Erfolg. Das LG hat bei der Bemessung des Streitwertes den geltend gemachten entgangenen Gewinn zutreffend nicht berücksichtigt.
1. Es entspricht – worauf das LG bereits zutreffend hingewiesen hat – mittlerweile gefestigter Rspr. des BGH, dass entgangener Gewinn, der als gleichbleibender Hundertsatz einer bestimmten Summe (Zinsen) geltend gemacht wird, eine Nebenforderung i.S.v. § 4 Abs. 1 Hs. 2 ZPO, § 43 Abs. 1 GKG der ebenfalls eingeklagten Hauptforderung ist und den Streitwert nicht erhöht (vgl. BGH, Beschl. v. 8.5.2012 – XI ZR 261/10, juris Rn14; v. 15.1.2013 – XI ZR 370/11; v. 2.6.2015 – XI ZR 323/14; jeweils v. 27.6.2013 – III ZR 143/12 juris Rn 6 ff. u. III ZR 257/12, juris Rn 5 f. v. 27.11.2013 – III ZR 423/12, juris Rn 1 v. 18.12.2013 – III ZR 65/13, juris Rn 2; v. 16.7.2015 – III ZR 164/14, juris Rn 7; v. 18.2.2014 – II ZR 191/12, juris Rn 5; v. 13.5.2014 – II ZR 24/14, juris Rn 1 u. 2.6.2014 – II ZR 61/14, juris Rn 1 sowie v. 10.12.2014 – IV ZR 116/14).
Die in jüngerer Vergangenheit ergangenen Entscheidungen des IX. Zivilsenates (Urt. u. Beschl. v. 17.11.2011 – IX ZR 161/09, v. 10.5.2012 – IX ZR 205/09 sowie v. 30.1.2013 – IX ZR 204/09) stehen dem nicht entgegen. Diese Entscheidungen betrafen jeweils einen speziellen Fall des Anwaltsregresses. Der IX. Zivilsenat hat hier entschieden, dass Zinsforderungen dann beim Streitwert zu berücksichtigen sind, wenn diese daraus hergeleitet werden, dass der Rechtsanwalt einen Anspruch verjähren lassen hat, der ab einem gewissen Zeitpunkt zu verzinsen gewesen wäre. Diesen Entscheidungen kann aber nicht entnommen werden, dass in Form eines Zinsausfallschadens geltend gemachter entgangener Gewinn grundsätzlich als Teil der Hauptforderung – und nicht als Nebenforderung i.S.v. § 4 Abs. 1 ZPO bzw. § 43 Abs. 1 GKG – zu bewerten sein soll. Tatsächlich sind die von dem 9. Zivilsenat entschiedenen Fälle auch nicht mit dem streitgegenständlichen Fall vergleichbar. Der Rspr. des IX. Zivilsenates liegt die Überlegung zugrunde, dass es sich in den dort entschiedenen Fällen bei den verlangten Zinsen jeweils um unselbstständige Berechnungsposten eines einheitlichen Schadensersatzanspruches handele (so ausdrücklich in dem Beschl. v. 10.5.2012 – IX ZR 205/09, juris Rn 5).
Bei dem hier geltend gemachten entgangenen Gewinn handelt es sich nicht um einen unselbstständigen Berechnungsposten eines einheitlichen Schadensersatzanspruchs. Es ist vielmehr anerkannt, dass der entgangene Gewinn ein selbstständiger Streitgegenstand ist (BGH, Urt. v. 26.2.2015 – III ZR 53/14, juris Rn 4; BGH, Beschl. v. 19.6.2000 – II ZR 319/98, juris Rn 18; KG, Beschl. v. 11.6.2015 – 12 U 173/13, juris Rn 6). Dies schließt aus, ihn als bloßen Rechnungsposten oder unselbstständigen Bestandteil eines einheitlichen Schadensersatzanspruchs zu bewerten. Die Rspr. des IX. Zivilsenates ist somit auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar.
Der IX. Zivilsenat hat sich in den vorgenannten Entscheidungen auch nicht mit der Rspr. der anderen Zivilsenate des BGH auseinandergesetzt. Auch dies spricht dafür, dass der IX. Zivilsenat keine dieser Rspr. widersprechenden allgemeinen Grundsätze aufstellen wollte, sondern seine Entscheidungen jeweils auf den dargestellten Besonderheiten der Fälle beruhte.
Die Rspr. der Oberlandesgerichte, die im Anschluss an die – jedenfalls mit der Entscheidung des IV. Zivilsenates v. 10.12.2014 – IV ZR 116/14 als gefestigt anzusehende – Rspr. des BGH ergangen ist, ist letzterer, soweit ersichtlich, ganz überwiegend gefolgt (vgl. OLG München, Urt. v. 27.9.2016 – 5 U 129/16, juris Rn 54, Beschl. v. 5.8.2014 – 19 U 1422/14, juris...