Leitsatz
- Der Vergütungsanspruch des im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalts gegenüber der Staatskasse gilt für alle nach der Beiordnung verwirklichten Gebührentatbestände, auch wenn diese bereits vor der Beiordnung erfüllt waren.
- Um mehrere Klagen im Zeitpunkt der Entscheidungsreife eines Prozesskostenhilfeantrags gebührenrechtlich als ein Verfahren ansehen zu können, bedarf es einer Verbindung durch Beschluss nach § 93 S. 1 VwGO, der grundsätzlich durch sämtliche Mitglieder des Spruchkörpers vorzunehmen ist und nicht durch eine Eingangsverfügung des oder der Vorsitzenden eines Spruchkörpers ersetzt werden kann, in der die Führung beider Verfahren unter einem Aktenzeichen bestimmt wird.
OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 29.10.2014 – OVG 6 K 85.14
1 Sachverhalt
Der Erinnerungsführer erhob für die beiden Kläger des Ausgangsverfahrens im März 2009 jeweils mit gesonderter Klageschrift Klage gegen zwei Bescheide des Erinnerungsgegners, mit denen jeweils die Feststellung des Verlustes des Rechts auf Einreise und Aufenthalt der beiden Kläger/Antragsteller des Ausgangsverfahrens festgestellt worden war. Zugleich beantragte er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für beide Kläger. Mit der Eingangsverfügung wies der Vorsitzende des Ausgangsverfahrens des VG beiden Klageverfahren zusammen ein Aktenzeichen zu (VG 27 L 102.09).
Nachdem die Kläger am 16.12.2009 die formularmäßigen Erklärungen über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse im Prozesskostenhilfeverfahren vorgelegt hatten, wurde ihnen mit Beschl. v. 21.12.2009 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Erinnerungsführers für das Klageverfahren (VG 27 K 102.09) gewährt. Das Klageverfahren wurde mit Beschl. v. 2.2.2012 ausgesetzt.
In seinem Antrag auf Festsetzung der Vergütung für das Klageverfahren begehrte der Erinnerungsführer zweimal eine 1,3-fache Verfahrensgebühr sowie die Post- und Telekommunikationsdienstleistungspauschale.
Die Kostenbeamtin setzte demgegenüber lediglich eine 1,3-fache Verfahrensgebühr und nur eine Postpauschale in Höhe von 20,00 EUR zuzüglich Umsatzsteuer fest, weil eine Verfahrensverbindung nicht stattgefunden habe und von Anfang an lediglich ein Verfahren beider Kläger geführt worden sei.
Die hiergegen gerichtete Erinnerung hat das VG zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Prozesskostenhilfe sei erst mit Beschl. v. 21.12.2009 bewilligt worden. Dieser Beschluss wirke nicht auf den Monat März 2009 zurück, in dem die Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz bei Gericht gesondert anhängig gemacht und sodann vom VG unter einem Aktenzeichen zusammengefasst und in der Folge in einem Verfahren behandelt worden seien. Prozesskostenhilfe werde nur für die Zukunft ab Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs bewilligt. Zu diesem Zeitpunkt habe jedenfalls faktisch nur noch ein Eilverfahren für beide Eheleute vorgelegen. Auch die vom Erinnerungsführer hilfsweise begehrte Festsetzung einer Erhöhungsgebühr nach Nr. 1008 VV scheide aus, weil es sich nicht um einen einheitlichen und identischen Streitgegenstand handele. Das ergebe sich auch aus der Streitwertfestsetzung. Der festgesetzte Wert von 10.000,00 EUR errechne sich nach entsprechenden Angaben im Ausgangsverfahren aus der Summe von jeweils 5.000,00 EUR. Damit fehle es an derselben Angelegenheit i.S.v. Nr. 1008 VV.
Die hiergegen erhobene Beschwerde hatte Erfolg.
2 Aus den Gründen
Das VG hat zu Unrecht entschieden, dass der Erinnerungsführer die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV und die Post- und Telekommunikationsdienstleistungspauschale nach Nr. 7002 VV nur einmal im Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens gegenüber der Staatskasse geltend machen kann.
Dabei hat es zwar zutreffend angenommen, dass der Vergütungsanspruch des im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalts gegenüber der Staatskasse allein diejenigen Tätigkeiten erfasst, die der Anwalt nach dem Wirksamwerden seiner Beiordnung geleistet hat, nicht aber auch etwaige Tätigkeiten aus der vorangegangenen Zeit als Wahlanwalt (BGH, Beschl. v. 10.10.1995 – VI ZR 396/94, AGS 1997, 141, Rn 5 bei juris m.w.N.). Der Vergütungsanspruch gilt daher für alle nach der Beiordnung verwirklichten Gebührentatbestände, auch wenn diese bereits vor der Beiordnung erfüllt waren (Senatsbeschl. v. 15.8.2014 – OVG 6 K 70.14 unter Berufung auf BGH, Beschl. v. 21.2.2008 – I ZR 142/06, Rn 5 bei juris), sodass es hinsichtlich der hier streitigen Gebühren für die Erstattungsfähigkeit aus der Staatskasse nicht – wie der Erinnerungsführer meint – auf die prozessuale Situation im Zeitpunkt des Klageeingangs bei Gericht, sondern auf die prozessuale Situation im Zeitpunkt der Bewilligung der Prozesskostenhilfe bzw. der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs ankommt. Das VG hat aber verkannt, dass hier gleichwohl gebührenrechtlich von zwei Verfahren auszugehen war. Dass die beiden getrennt erhobenen, jeweils eine Gebühr nach Nr. 3100 und nach Nr. 7002 VV auslösenden Klagen der Kläger des Ausgangsverfahrens bereits unmittelbar nach Eingang bei Gericht fak...