BGB §§ 138 Abs. 1, 307 Abs. 1; RVG §§ 3a Abs. 1, Abs. 2, 4; RVG VV Vorbem. 3 Abs. 4; Nrn. 2300, 3100, 3104, 1003
Leitsatz
- Eine anwaltliche Vergütungsvereinbarung ist nicht als sittenwidrig und nichtig anzusehen, wenn die durch sie vereinbarten Gebühren das 3,2-Fache der gesetzlichen Gebühren betragen.
- Der formularmäßige Hinweis in einer Vergütungsvereinbarung, wonach "die vereinbarte Vergütung unter Umständen die gesetzlichen Gebühren übersteigt und eine eventuelle Gebührenerstattung durch den Gegner auf die gesetzlichen Gebühren beschränkt ist", entspricht den Vorgaben von § 3 Abs. 1 RVG. Der Wortlaut "unter Umständen" ist dabei nicht als irreführend anzusehen.
OLG München, Urt. v. 3.5.2012 – 24 U 646/10
1 Sachverhalt
Die Parteien streiten über die Sittenwidrigkeit anwaltlicher Honorarvereinbarungen sowie über die Herabsetzung von auf ihnen beruhenden Gebührenabrechnungen.
Das LG hat die auf Verurteilung zur Zahlung von 5.723,75 EUR gerichtete Klage in vollem Umfang abgewiesen.
Zwar sei die Abtretung der Forderung an die klagende anwaltliche Verrechnungsstelle wirksam. Die zwischen den Rechtsanwälten M und dem Beklagten geschlossene Vergütungsvereinbarung und der ergänzende Mandatsvertrag und Vergütungsvereinbarung mit Hinweisen zur Abrechnung vom selben Tag seien jedoch sittenwidrig i.S.d. § 138 Abs. 1 BGB und damit nichtig. Es bestehe ein grobes Missverhältnis zwischen den Leistungen der Rechtsanwälte und dem vereinbarten Honorar. Auch die subjektiven Voraussetzungen eines wucherähnlichen Rechtsgeschäftes seien zu bejahen, da die Rechtsanwälte mit dem anwaltlichen Gebührenrecht besser vertraut seien. Damit bestehe die anwaltliche Gebührenforderung aus dem Rechtsstreit gegen die Eheleute L. nicht. Die dem Grunde und der Höhe nach unstreitige Forderung aus dem Rechtsstreit gegen die Eheleute A. sei durch die vom Beklagten erklärte Aufrechnung erloschen.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit der Berufung, mit der sie ihre ursprünglichen Anträge in vollem Umfang weiter verfolgt.
Sie bringt vor, die Vereinbarung eines Gegenstandswerts von 171.425,87 EUR sei sachgerecht gewesen, obwohl nur eine Werklohnforderung in Höhe von 23.999,60 EUR eingeklagt worden sei. Die Eheleute L, als Beklagte des dortigen Rechtsstreits hätten nämlich behauptet, dass das Vertragsverhältnis mit dem dortigen Kläger (dem hier Beklagten) bereits beendet sei, während dieser auf einen Fortbestand des Vertragsverhältnisses Wert gelegt habe. Für die Sittenwidrigkeit einer Gebührenvereinbarung komme es auch nicht auf das Missverhältnis der erbrachten Leistungen zum vereinbarten Honorar, sondern der gesetzlichen Gebühr zur vereinbarten Gebühr an. Selbst Überschreitungen des gesetzlichen Gebührenrahmens um das 5-Fache ließen nicht den Schluss zu, dass eine Äquivalenzstörung vorliege. Der Beklagte habe auch gewusst, worauf er sich einlasse, weil er bereits für die außergerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwalts eine Zwischenabrechnung erhalten habe, aufgrund derer er eine 1,5 Geschäftsgebühr gem. Nr. 2300 VV aus dem Gegenstandswert von 171.425,87 EUR in Rechnung gestellt erhalten und auch bezahlt habe.
2 Aus den Gründen
Die Berufung der Klägerin ist zulässig und – mit Ausnahme geringfügiger Abstriche bei den Zinsen – auch begründet. Der Klägerin steht ein Anspruch gegen den Beklagten auf Zahlung von 5.723,75 EUR aus dem rechtsanwaltlichen Dienstvertrag der Rechtsanwälte M. mit dem Beklagten in Verbindung mit der Abtretungsvereinbarung zu, deren Wirksamkeit in der Berufungsinstanz nicht mehr angezweifelt wird.
1. Die Gebührenvereinbarung entspricht unstreitig den äußeren Anforderungen des § 3a Abs. 1 RVG. Sie ist in Textform abgefasst und ausdrücklich als Vergütungsvereinbarung bezeichnet, deutlich abgesetzt und nicht in der Vollmacht enthalten. Sie enthält im Fettdruck den Hinweis, dass die vereinbarte Vergütung unter Umständen die gesetzlichen Gebühren übersteigt und eine eventuelle Gebührenerstattung durch den Gegner auf die gesetzlichen Gebühren beschränkt ist.
2. Entgegen der Auffassung des LG ist die Vergütungsvereinbarung nicht wegen Sittenwidrigkeit gem. § 138 Abs. 1 BGB nichtig.
a) Der in der Vereinbarung vorgesehene Mindestgegenstandswert von 171.425,27 EUR ist nicht willkürlich gewählt. Zwar belief sich die Klage nach dem Entwurf der dem Beklagten zusammen mit der Vergütungsvereinbarung übermittelt wurde, nur auf 23.999,60 EUR. Dabei handelt es sich jedoch nur um die Summe aus den ersten beiden Abschlagsrechnungen, die der Beklagte an die Eheleute L. gestellt hatte. Das Gesamtvolumen des Werkvertrags belief sich jedoch auf 171.425,87 EUR.
b) Ein grobes Missverhältnis zwischen der vereinbarten Vergütung und der gesetzlichen Gebühr, die dem Rechtsanwalt nach Nrn. 3100, 3104 und 1003 VV zusteht, besteht nicht.
Zwar beträgt die vereinbarte Vergütung aus dem Gegenstandswert von 171.425,87 EUR für das gerichtliche Verfahren zusammen 6.086,50 EUR (ohne Portopauschale, Fahrtkosten, Schreibauslagen und Umsatzsteuer). Die gesetzliche Gebühr aus dem Gegenstandswert von 23.999,60 EUR würd...