Leitsatz
Eine natürliche Person, die aufgrund eines Arbeitsvertrags mit einer steuerpflichtigen Gesellschaft, deren einziger Gesellschafter, Geschäftsführer und Mitarbeiter sie im Übrigen ist, alle Arbeiten im Namen und auf Rechnung dieser Gesellschaft ausführt, gilt für die Zwecke von Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der 6. EG-RL selbst nicht als Steuerpflichtiger i.S.v. Art. 4 Abs. 1 der 6. RL.
Normenkette
Art. 4 Abs. 1, Art. 4 Abs. 4 der 6. EG-RL (vgl. § 2 Abs. 1 und § 1 Abs. 1a UStG)
Sachverhalt
S war alleiniger Geschäftsführer, Gesellschafter und einziger Arbeitnehmer der Reinigungs-GmbH und hatte mit der GmbH einen Arbeitsvertrag geschlossen (Urlaubsgeld, Lohnsteuer, Sozialversicherungsbeiträge wurden abgeführt).
Das niederländische FA war der Auffassung, es handle sich um eine Organschaft. Dagegen wandte sich S. Das niederländische Gericht verneinte zwar eine Unterordnung des S, hielt aber für zweifelhaft, ob eine natürliche Person, die einziger Gesellschafter, Geschäftsführer und Arbeitnehmer einer GmbH ist und alle Arbeiten im Namen und auf Rechnung dieser Gesellschaft ausführt, selbstständig i.S.d. Art. 4 Abs. 1 der 6. EG-RL (§ 2 Abs. 1 UStG) sein kann.
Entscheidung
Der EuGH verneinte aufgrund der rechtlichen Grundlage und tatsächlichen Durchführung der Tätigkeit des S eine selbstständige Tätigkeit i.S.d. Mehrwertsteuerrechts und bestätigt damit die BFH-Rechtsprechung zum Verhältnis Gesellschafter und Gesellschaft: es kommt auf die konkrete rechtliche und tatsächliche Ausgestaltung der Tätigkeit an. Dies zu würdigen obliegt den FG. Im Klageverfahren müssen deshalb alle für die Beurteilung wesentlichen Tatsachen vorgetragen werden.
Hinweis
1. Die Besprechungsentscheidung betrifft Abgrenzungsfragen einer 1-Mann-Gesellschaft: das Verhältnis Gesellschaft und Gesellschafter -- sei es als Gesellschaftergeschäftsführer oder sonst als Arbeitnehmer. Wer ist Unternehmer, wenn eine Person Alleingesellschafter, Alleingeschäftsführer und einziger Arbeitnehmer einer GmbH ist. Der Sachverhalt betrifft das niederländische UStG, das -- wie das UStG in § 1 Abs. 1a -- die nach Art. 4 Abs. 4 der 6. EG-RL zulässige Organschaft regelt.
2. Entscheidend sind die konkreten Verhältnisse: Der EuGH bestätigt letztlich die Auffassung des BFH, wonach für die Beurteilung der Frage die konkrete rechtliche Ausgestaltung und Durchführung der betreffenden Tätigkeit des Gesellschafters maßgeblich ist. Wird der Alleingesellschafter aufgrund eines alle Anforderungen eines Arbeitsverhältnisses erfüllenden Arbeitvertrags für die Gesellschaft und auf Rechnung und Verantwortung der Gesellschaft tätig und wird der Arbeitsvertrag auch tatsächlich durchgeführt (Lohnsteuer, Sozialversicherung) und tritt folgerichtig auch nur die GmbH nach außen auf, fehlt es sowohl an der Selbstständigkeit als auch an dem für eine Organschaft erforderlichen -- Unterordnungsverhältnis der GmbH. Von wesentlicher Bedeutung sind die Modalitäten der Vergütung und die Frage, wer das wirtschaftliche Risiko der Tätigkeit trägt.
Ebenso wie ein Gesellschafter einen ihm gehörenden Gegenstand an „seine” GmbH vermieten kann, kann er auch als deren Arbeitnehmer für diese tätig sein. Dass er zugleich Gesellschafter und Geschäftsführer der GmbH ist, ist unerheblich, wenn die betreffende Leistung nicht auf gesellschaftsrechtlicher Grundlage erbracht wird.
3. Der EuGH hatte im Urteil vom 27.06.1996, -- Asscher -- (Rs. C-107/94, Slg. 1996, I-3089, Rd.Nr. 26) allerdings ausgeführt, der Geschäftsführer einer Gesellschaft, deren einziger Gesellschafter er ist, übe seine Tätigkeit nicht im Rahmen eines Unterordnungsverhältnisses aus und sei nicht als Arbeitnehmer i.S.d. Art. 48 (jetzt 39) des EG-Vertrags anzusehen, sondern als eine Person, die eine selbstständige Erwerbstätigkeit i.S.v. Art. 52 (jetzt 43) des EG-Vertrags ausübt. Diese Entscheidung betraf aber die Freizügigkeit. Sie ist -- wie der EuGH ausdrücklich betont (Rd.Nr. 31) -- nicht auf die Mehrwertsteuer zu übertragen.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil vom 18.10.2007, Rs. C-355/06 -- van der Steen --