Prof. Dr. Volker Römermann
A. Einleitung
Rz. 1
Die Historie der Fachanwaltschaft ist geprägt von dem zähen Ringen um die Verwirklichung der Fachanwaltsbezeichnungen und um deren kontinuierliche Erweiterung.
Rz. 2
Bereits kurz nach dem ersten Weltkrieg mehrten sich die Stimmen in der anwaltsrechtlichen Literatur, die eine Spezialisierung der Anwälte in Form einer Fachanwaltsbezeichnung forderten. Der 24. Deutsche Anwaltstag in Hamburg hat am 11.9.1929 beschlossen, dass die Ausübung der Fachanwaltschaft – nach Führung eines hinreichenden Befähigungsnachweises – zulässig sein sollte, wenn zwischen der Zulassung des Anwalts und der Kundmachung der Fachanwaltschaft nach außen hin eine "gewisse Zeit verflossen" sei. Die Vorstände der Deutschen Rechtsanwaltskammern verabschiedeten dann 1930 erstmalig die Richtlinie zur Einführung von Fachanwaltsbezeichnungen. Es wurden die Fachanwaltsbezeichnungen
▪ |
Steuerrecht |
▪ |
Urheber- und Verlagsrecht, Gewerblicher Rechtsschutz |
▪ |
Staats- und Verwaltungsrecht |
▪ |
Ausländerrecht |
▪ |
Arbeitsrecht |
anerkannt.
Kurze Zeit später folgte der Fachanwalt für Sozialversicherungsrecht.
Rz. 3
Nachdem die nationalsozialistischen Machthaber im Jahr 1935 die Führung sämtlicher Fachanwaltsbezeichnungen mit der Begründung verboten haben, die Fachanwaltsbezeichnung entspräche nicht der standesrechtlichen Auffassung der "Nationalsozialistischen Rechtswahrer", wurde die Führung von Fachanwaltsbezeichnungen in der jungen Bundesrepublik Deutschland in den einzelnen Besatzungszonen bzw. Bundesländern unterschiedlich gehandhabt. Dabei wurde als zunächst einzige Fachanwaltschaft der Fachanwalt für Steuerrecht wieder zum Leben erweckt.
Rz. 4
Die Diskussion um die Führung von Fachanwaltsbezeichnungen setzte sich in den 60er- und 70er-Jahren unvermindert fort, wobei die Bundesregierung erst im Jahr 1985 den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Berufsrechts der Rechtsanwälte, der Patentanwälte und der Notare vorlegte, der sowohl die Zulassung von Fachanwaltsbezeichnungen als auch das Verfahren zu ihrer Erlangung regeln sollte. Dieser Entwurf scheiterte dann jedoch im Rechtsausschuss des Bundestages.
Die Bundesrechtsanwaltskammer erkannte, dass hier eine stärkere Eigeninitiative gefragt war, und beschloss in ihrer 60. Hauptversammlung am 10.10.1986 in Freiburg die Einführung der weiteren Fachanwaltsbezeichnungen Arbeitsrecht, Sozialrecht und Verwaltungsrecht, die Neufassung von § 76 der anwaltlichen Standesrichtlinien sowie die "Richtlinien für die Gestattung der Bezeichnung Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Steuerrecht, Arbeitsrecht und Sozialrecht". Die Idee dahinter war zu diesem Zeitpunkt die spätere Angliederung von Fachanwaltschaften an besondere Rechtszüge. Am Schluss hätten womöglich nur noch die jeweiligen Fachanwälte vor dem BVerwG, BFH, BAG, BSG auftreten können.
Rz. 5
Trotz der hohen Akzeptanz sowohl in der Anwaltschaft als auch beim Publikum kam die Verleihpraxis zum Stillstand, als der BGH in seinem Urt. v. 14.5.1990 feststellte, dass die Rechtsanwaltskammern für die Verleihung von Fachanwaltsbezeichnungen keine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage hätten, weshalb die Verleihung unzulässig sei.
Nach der Entscheidung des BGH verfiel der Gesetzgeber in hektische Aktivitäten, die zunächst in das "Gesetz zur Änderung des Berufsrechts der Notare und der Rechtsanwälte" vom 29.1.1991 und später – nachdem der Entwurf einer "Verordnung über Fachanwaltsbezeichnungen" im Bundesrat abgelehnt worden war – in das "Gesetz über Fachanwaltsbezeichnungen nach der Bundesrechtsanwaltsordnung und zur Änderung der Bundesrechtsanwaltsordnung" sowie in die "Verordnung über die Fachanwaltsbezeichnungen nach dem RVG" mündeten.
Rz. 6
Durch das "Gesetz zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und Patentanwälte" vom 2.9.1994 gelang es dem Gesetzgeber schließlich, den bereits im Jahr 1987 durch das BVerfG erteilten Auftrag zu erfüllen und ein neues anwaltliches Berufsrecht zu schaffen. Das "Gesetz zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und Patentanwälte" sah in Art. 21 Abs. 11 Satz 1 vor, dass das Gesetz über Fachanwaltsbezeichnungen nach der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) vom 27.2.1992 aufgehoben wurde.
Einige Zeit später einigte man sich dann auf die neue anwaltliche Berufsordnung (BORA) und die Fachanwaltsordnung (FAO), welche am 11.3.1997 in Kraft traten. Beide Normen sind kontinuierlich fortentwickelt worden.
Rz. 7
Nachdem bereits 1995 die Fachanwaltschaften für Familienrecht und Strafrecht eingeführt worden waren, folgte 1999 der Fachanwalt für Insolvenzrecht und 2002 der Fachanwalt für Versicherungsrecht. Im Jahr 2005 entschloss man sich für eine deutliche Erweiterung der Fachanwaltsgebiete und beschloss die Einführung der Fachanwaltsbezeichnungen für Medizinrecht, Miet- und Wohnungseigentumsrecht, Verkehrsrecht, Bau- und Architektenrecht, Erbrecht sowie Transport- und Speditionsrecht. 2006 folgten die Fachanwaltsbezeichnungen "Gewerblicher Rechtsschutz", "Handels- und Gesellschaftsrecht" sow...