Leitsatz
Ein Anwalt darf auf die Gewährung der beantragten Fristverlängerung nicht ohne Weiteres vertrauen. Er muss sich rechtzeitig über das wirkliche Ende der Frist Gewissheit verschaffen, wenn keine entsprechende Verfügung zugegangen war. Unterlässt er dies, liegt ein Organisationsverschulden vor.
Sachverhalt
Der Anwalt eines Beklagten hatte gegen das am 31.3.2008 zugestellte Urteil des LG am 29.4.2008 Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründungsfrist lief am 2.6.2008 ab. Die Berufungsbegründung ging erst am 11.6.2008 beim Berufungsgericht ein. Am 27.6. 2008 hatte das Berufungsgericht auf die Unzulässigkeit der Berufung nach § 522 Abs. 1 ZPO wegen Nichteinhaltung der Berufungsbegründungsfrist hingewiesen.
Der Anwalt beantragt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und trug vor, dass er am 26.5.2008 einen Fristverlängerungsantrag zur Post gegeben habe, der verloren gegangen sein müsse. Nach Postversendung des Fristverlängerungsantrags und Abheften einer Fotokopie in der Handakte habe seine Angestellte die Frist bis 2.6.2008 im Terminkalender gestrichen und als neue Frist für die Berufungsbegründung den 13.6.2008 notiert. Der Antrag auf Wiedereinsetzung blieb auch vor dem BGH erfolglos.
Der Verlust des Fristverlängerungsantrags auf dem Postweg ist dem Anwalt zwar nicht anzulasten, und er ist grundsätzlich auch nicht verpflichtet, sich bei Gericht nach dem Eingang eines Schriftsatzes zu erkundigen.
Bei Zustellung des Urteils sind Berufungsfrist und Berufungsbegründungsfrist im Fristenkalender einzutragen. Wird die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt, darf sie nicht in der Weise vorgemerkt werden, dass schon mit der Antragstellung der Endpunkt der Frist im Kalender eingetragen wird, als ob sie bereits zu diesem Zeitpunkt bewilligt worden sei. Es handelt sich zunächst um eine hypothetische Frist, da der Vorsitzende die Frist auch auf einen kürzeren Zeitraum als beantragt bewilligen kann.
Der Eintrag des endgültigen Fristablaufs ist erst zulässig, wenn die Verlängerung tatsächlich gewährt worden ist. Immer ist durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass vor dem Ablauf der Frist, deren Verlängerung beantragt worden ist, das wirkliche Ende der Frist – ggf. durch Rückfrage bei Gericht – festgestellt wird. Das gilt auch, wenn die Fristverlängerung bereits einige Tage vor Fristablauf beantragt wird.
Da die Kanzleiangestellte die eigentliche Berufungsbegründungsfrist gestrichen, und als neue Frist die erhoffte bis zum 13.6.2008 (laut Fristverlängerungsantrag) notiert hatte, wurde die Akte dem Anwalt nicht auf die möglicherweise bereits am 2.6.2008 ablaufende Frist vorgelegt. Wäre diese nicht gelöscht, sondern der Verlängerungsantrag vermerkt worden, hätte eine solche Vorlage erfolgen müssen. Man hätte dann gemerkt, dass auf den Fristverlängerungsantrag noch keine Reaktion des Gerichts vorlag.
Eine Nachfrage bei Gericht hätte dann ergeben, dass der Antrag dort nicht eingegangen war, sodass noch am 2.6.2008 ein erneuter Verlängerungsantrag hätte gestellt oder die Berufungsbegründung hätte eingereicht werden können.
Hinweis
Folgende übliche Formulierung schützt nicht: "Sollte ich keine anderslautende Nachricht erhalten, gehe ich davon aus, dass die beantragte Fristverlängerung gewährt wird". Diese Formulierung enthält keinen Verzicht auf die Mitteilung der bewilligten Verlängerung und damit auf die Feststellung der wirklichen Frist, sondern verleiht nur der Erwartung des Anwalts Ausdruck, dass sein erster, ordnungsgemäß begründeter Verlängerungsantrag nicht ohne "Vorwarnung" abgelehnt wird.
Link zur Entscheidung
BGH, Beschluss v. 24.11.2009, VI ZB 69/08.