1 Leitsatz
Verlängert das Berufungsgericht eine Frist "antragsgemäß", macht es den Antrag des Berufungsklägers zum Inhalt der Fristverlängerung.
2 Normenkette
§§ 233, 520 ZPO
3 Das Problem
Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer K nimmt Teileigentümer B auf Unterlassung der Nutzung seines Sondereigentums als kulturelle Begegnungsstätte in Anspruch. Das AG gibt der Klage statt. Das Urteil wird dem erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten (Y) des B am 23.1.2020 zugestellt. Der zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte (Z) des B legt fristgerecht gegen das Urteil, "zugestellt am 24.1.2020", Berufung ein und beantragt zugleich, die Frist zur Berufungsbegründung um einen Monat zu verlängern. Am 3.3.2020 verlängert die LG-Berichterstatterin die Berufungsbegründungsfrist "antragsgemäß". Die Berufungsbegründung geht beim LG am 24.4.2020 ein.
Auf den LG-Hinweis, die Berufung sei unzulässig, weil die Berufungsbegründungsfrist nur bis zum 23.4.2020 verlängert worden sei, stellt sich B auf den Standpunkt, die Frist sei antragsgemäß bis zum 24.4.2020 verlängert worden. Hilfsweise beantragt er Wiedereinsetzung. Y habe auf der Grundlage des von Z auf der Urteilsabschrift vermerkten Zustelldatums das Ende der Berufungsbegründungsfrist ursprünglich korrekt mit "23.03.2020" im Fristenkalender eingetragen. Zur Überprüfung habe Y Einsicht in die Gerichtsakte genommen. Er sei dabei auf eine Verfügung der Urkundsbeamtin der LG-Geschäftsstelle gestoßen. Diese habe als Ende der Begründungsfrist den 24.3.2020 in der Gerichtsakte vermerkt. Im Vertrauen auf die Berechnung der Frist durch das LG habe Y als neues Fristende den 24.4.2020 notiert. Das LG weist den Wiedereinsetzungsantrag zurück und verwirft die Berufung als unzulässig. Hiergegen wende sich B mit der Rechtsbeschwerde.
4 Die Entscheidung
Ohne Erfolg! Die Annahme des Berufungsgerichts, B habe die Berufung nicht fristgerecht begründet (§ 520 Abs. 1 ZPO) und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 233 ZPO sei nicht zu gewähren, lasse keine zulassungsrelevanten Rechtsfehler erkennen.
Die LG-Annahme, die Berufungsbegründungsfrist sei nur bis zum 23.4.2020 verlängert worden, halte sich im Rahmen einer vertretbaren tatrichterlichen Würdigung. Weil eine Partei im Zweifel einen zulässigen Antrag stellen wolle, habe das LG den Antrag so auslegen dürfen, dass die ohne Einwilligung des Gegners längstmögliche Fristverlängerung erstrebt worden sei. Nach diesem Verständnis sei die Fristverlängerung nur bis zum 23.4.2020 beantragt gewesen. Indem das Berufungsgericht die Frist "antragsgemäß" verlängert habe, habe es den so verstandenen Antrag zum Inhalt der Fristverlängerung gemacht.
Die Versagung der Wiedereinsetzung wegen eines B zurechenbaren Verschuldens des Y stehe ebenfalls im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Es begründe einen Verschuldensvorwurf, dass Y von einer Zustellung des amtsgerichtlichen Urteils am 24.3.2020 ausgegangen sei. Der mit der Einlegung der Berufung beauftragte Rechtsanwalt müsse in eigener Verantwortung die für die Berechnung der Berufungsfrist maßgebenden Daten überprüfen und das Zustellungsdatum zuverlässig feststellen. Daran fehle es. Zur Ermittlung des Zustelldatums sei die Verfügung der Geschäftsstelle schon deshalb nicht geeignet gewesen, weil das darin notierte Datum ersichtlich auf einer fehlerhaften Angabe des Y in der Berufungsschrift beruht habe.
5 Hinweis
Problemüberblick
Im Fall geht es um die Frage, bis wann die Berufungsbegründungsfrist lief und ob B ggf. Wiedereinsetzung zu gewähren ist.
Berufungsbegründungsfrist
Die Frage mit der Frist ist leicht zu beantworten. Sie lief ursprünglich am 23.2.2020 ab und konnte vom LG ohne die Beteiligung des K nur bis zum 23.3.2020 verlängert werden. Dass B eine Verlängerung bis zum 24.3.2020 anstrebte, änderte nichts. Sein Antrag war dabei auch unglücklich formuliert. Maßgeblich für den Umfang einer gerichtlichen Fristverlängerung ist deren objektiver Inhalt. Mit der Formulierung "antragsgemäße" Verlängerung wird der Fristverlängerungsantrag zum Inhalt der Fristverlängerung selbst gemacht. Der Fristverlängerungsantrag hat seinem objektiven Inhalt nach aber nur eine Fristverlängerung bis zum 23.2.2020 enthalten.
Wiedereinsetzung
Für die Wiedereinsetzung ist die Rechtslage auch klar. Y musste sich ansehen, wann Z das AG-Urteil zugestellt worden war. Auf andere Unterlagen kam es nicht an.
Fürsorgepflicht des Gerichts
Das LG war nach Eingang der Akte vom AG nicht aufgrund seiner prozessualen Fürsorgepflicht gehalten, B darauf hinzuweisen, dass das angefochtene Urteil bereits am 23.3.2020 zugestellt worden war. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung besteht keine generelle Fürsorgepflicht des Rechtsmittelgerichts, durch Hinweise oder andere geeignete Maßnahmen eine Fristversäumung des Rechtsmittelführers zu verhindern. Ein Gericht ist vielmehr nur unter besonderen Umständen gehalten, einer drohenden Fristversäumnis seitens der Partei entgegenzuwirken. Solche Umstände sind nicht gegeben. Auf das unzutreffende Zustelldatum hätte das Berufungsgericht Y nur dann hinw...