Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlagebeschluss. EUGH. Massenentlassungsrichtlinie 98/59/EG. Massenentlassung
Leitsatz (amtlich)
Vorlagebeschluss zwecks Vorabentscheidung durch den EUGH bezüglich folgender Fragen:
1.
Ist die Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen dahin auszulegen, dass unter „Entlassung” i.S.d. Art. 1 Abs. 1 lit. a der Richtlinie die Kündigung als der erste Akt zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu verstehen ist oder meint „Entlassung” die Beendigung des Arbeitverhältnisses mit dem Ablauf der Kündigungsfrist ?
2. a)
Für den Fall, dass unter „Entlassung” die Kündigung zu verstehen ist, verlangt die Richtlinie, dass sowohl das Konsultationsverfahren im Sinne des Art. 2 der Richtlinie als auch das Anzeigeverfahren im Sinne der Art. 3 und 4 der Richtlinie vor dem Ausspruch der Kündigungen abgeschlossen sein muss ?
2. b)
Für den Fall, dass unter „Entlassung” die tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu verstehen ist, ist es nach den Bestimmungen der Richtlinie ausreichend, wenn auch das Konsultationsverfahren erst nach dem Ausspruch der Kündigungen durchgeführt wird ?
Normenkette
EG Art. 234; KSchG § 17 ff.
Tenor
I.
Die Kammer 36 des Arbeitsgerichts Berlin legt dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art. 234 EG folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:
1.
Ist die Richtlinie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen dahin auszulegen, dass unter „Entlassung” i.S.d. Art. 1 Abs. 1 lit. a der Richtlinie die Kündigung als der erste Akt zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu verstehen ist oder meint „Entlassung” die Beendigung des Arbeitverhältnisses mit dem Ablauf der Kündigungsfrist?
2. a)
Für den Fall, dass unter „Entlassung” die Kündigung zu verstehen ist, verlangt die Richtlinie, dass sowohl das Konsultationsverfahren im Sinne des Art. 2 der Richtlinie als auch das Anzeigeverfahren im Sinne der Art. 3 und 4 der Richtlinie vor dem Ausspruch der Kündigungen abgeschlossen sein muss ?
2. b)
Für den Fall, dass unter „Entlassung” die tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu verstehen ist, ist es nach den Bestimmungen der Richtlinie ausreichend, wenn auch das Konsultationsverfahren erst nach dem Ausspruch der Kündigungen durchgeführt wird?
II.
Es wird angeregt, das Vorabentscheidungsersuchen einem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen bzw. mit dem unter dem Geschäftszeichen C-188/03 anhängigen Ersuchen (36 Ca 19726/02) zu verbinden.
III.
Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs ausgesetzt.
Tatbestand
Im Ausgangsverfahren streiten die Parteien über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung im Rahmen einer Massenentlassung.
I.
Dem Rechtsstreit liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Klägerin war bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängern seit dem 01. November 1990 als Referentin für den Bereich Grundstücksgenehmigungen beschäftigt.
Bei der Beklagte handelt es sich um eine privatrechtliche Nachfolgegesellschaft der A Die A wurde 1990 zum Zwecke der Privatisierung und Reorganisation der Volkseigenen Betriebe der Deutschen Demokratischen Republik gegründet, nach der Wiedervereinigung Deutschlands als Anstalt des öffentlichen Rechts fortgeführt, und 1994 in B umbenannt. Alleinige Gesellschafterin der Beklagten ist die C.
Die Beklagte war auf Grund eines Rahmenvertrages für die D als Verwaltungshelferin tätig und erledigte im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung stehende Verwaltungsaufgaben nach dem Vermögenszuordnungsgesetz. Zu diesem Zweck beschäftigte die Beklagte zuletzt insgesamt 163 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, darunter einige mit befristeten Arbeitsverträgen. Ein Betriebsrat war gebildet. Finanziert wurde die Beklagte aus Bundesmitteln.
Die Klägerin und andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Beklagten waren von der D zum Erlass hoheitlicher Bescheide ermächtigt, unterlagen bei ihrer Tätigkeit den Weisungen und der Kontrolle der D und traten nach außen ausschließlich im Namen der D auf. An dem Gebäude, in dem sich die Geschäftsräumlichkeiten der Beklagten befanden, war das Wappen der C angebracht.
Mit Schreiben vom 28. März 2003 kündigte die D den Rahmenvertrag über die Aufgabenerledigung zum 31. Dezember 2003. Im Rahmen einer außerordentlichen Gesellschafterversammlung am 08. April 2003 wurde beschlossen, zunächst abzuwarten, ob entgegen den Plänen für das Haushaltsjahr 2004 weitere Mittel zur Finanzierung der Beklagten bereitgestellt würden. Mit Schreiben vom 05. Mai 2003 teilte das E der Beklagten mit, dass beschlossen worden sei, die Gesellschaft zum 31. Dezember 2003 aufzulösen, und wies die Beklagte an, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, insbesondere die vorhandenen Arbeitsverhältnisse ordnungsgemäß zu beenden. Hierüber informierte die Beklagte den Betriebsrat mit Schreiben vom 31. März 2003 und vom 05. Mai 2003.
Mit Schreiben vom 14. Mai 2003 hörte die Beklagte de...