Leitsatz (amtlich)

I. Hat sich der Anspruchsteller im Rechtsstreit um die Vergütung von Mehr-/Überarbeit zur Entgegennahme und Befolgung von Arbeitsanweisungen (§ 106 GewO) im Betrieb aufgehalten, so ist es Sache des Arbeitgebers, näheren Aufschluss darüber zu verschaffen, warum es sich entgegen erstem Anschein nicht um vergütungspflichtige Anwesenheitszeiten gehandelt haben sollte (vgl. BAG 16.5.2012 – 5 AZR 347/11 – NZA 2012, 939 = MDR 2012, 1170). Die betriebliche Anwesenheit eines Arbeitnehmers begründet die Vermutung, dass diese auch jeweils notwendig gewesen sei (LAG Berlin 6.4.1983 – 12 Sa 3/83 – n.v.; LAG Berlin-Brandenburg 23.12.2011 – 6 Sa 1941/11 – EzA-SD 2012 Nr. 2 S. 13; 19.9.2012 – 15 Ta 1766/12 n.v. [„Juris”]).

II. Soweit es in diesem Zusammenhang noch auf die „Duldung” entsprechender Mehr-/Überarbeit durch den Arbeitgeber im Sinne der diesbezüglichen Judikatur des Bundesarbeitsgerichts (s. etwa schon BAG 15.6.1961 – 2 AZR 436/60 – AP § 253 ZPO Nr. 7 = SAE 1961, 192) ankommt, kann dieser sich nicht mit Erfolg darauf berufen, er habe die fraglichen Zustände nicht gekannt, wenn sich die betreffenden Zeiten in vom Arbeitgeber selber geführten Aufstellungen (hier: „Zeiterfassung Journal”) dokumentiert sind. Es gelten insofern die Grundsätze des Bundesgerichtshofs zur sogenannten „Wissenszurechnung” innerhalb arbeitsteiliger Organisationen (s. namentlich BGH 2.2.1996 – V ZR 239/94 – BGHZ 132, 30 = NJW 1996, 1339 = MDR 1996, 1003).

 

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.446,47 Euro (brutto) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12. September 2012 zu zahlen.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

III. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 1.446,47 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

Es geht um Bezahlung von Mehrarbeit. – Vorgefallen ist folgendes:

I. Die Klägerin trat mit dem 19. April 2012 gegen ein Monatsgehalt von 2.500,– Euro (brutto) als „Office Managerin”[1] in die Dienste der Beklagten, die ein „Unternehmen der Kommunikationsbranche mit dem Schwerpunkt Public Relations”[2] betreibt. Zu „Arbeitszeit und -ort” heißt es in Nr. 3 des nach Erscheinungsbild und Diktion von der Beklagten gestellten Vertragstexts[3]:

„3. Arbeitszeit und -ort

Arbeitsplatz der Arbeitnehmerin ist das Büro des Arbeitgebers in Berlin. Das Unternehmen behält sich vor, der Arbeitnehmerin im Rahmen des Unternehmens – auch an einem anderen Ort – eine andere oder zusätzliche, der Vorbildung und den Fähigkeiten entsprechende Tätigkeit zu übertragen.

Die Regelarbeitszeit beträgt täglich 8 Stunden, wöchentlich 40 Stunden. Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit und der Pausen richten sich nach der Übung des Betriebes. Sonnabend, Sonntag sowie gesetzliche Feiertage sind grundsätzlich arbeitsfrei. Bei branchenbedingtem höheren Arbeitsanfall sind auch Termine außerhalb der Arbeitszeit wahrzunehmen.

Ein Anspruch auf Über- und Mehrarbeitsvergütung besteht nur, wenn diese von der Geschäftsleitung angeordnet oder mit ihr vereinbart worden sind. Die Abgeltung kann sowohl in Geld als auch in Freizeit erfolgen.

Ein branchenübliches Maß an Überstunden ist mit dem vereinbarten Monatsgehalt abgegolten”.

II. In welchem Umfange die Klägerin von der Beklagten zeitlich tatsächlich in Anspruch genommen wurden ist, stellen die Parteien streckenweise divergierend dar (s. unten, S. 3 [vor IV.]; S. 3-6 [V.]). Fest steht aber, dass die Beklagte diejenigen Zeiten, zu denen ihre Beschäftigten kommen und gehen, in einem als „Zeiterfassung Journal (in Industrieminuten)” betitelten Formschreiben[4] (Kopie: Urteilsanlage I.) zu dokumentieren pflegt, dessen Aussagekraft die Parteien allerdings unterschiedlich gewürdigt sehen wollen. Fest steht auch, dass die Klägerin mit dem 30. Juni 2012 aus den Diensten der Beklagten ausschied. Fest steht schließlich, dass die Klägerin per 11. Juni 2012 (Urteilsanlage I.) besagtem „Journal” zufolge einen Arbeitszeitüberhang („Saldo”) gegenüber ihrer „Sollzeit” von 105,73 aufwies.

III. Mit ihrer am 5. September 2012 bei Gericht eingereichten und sechs Tage später (11. September 2012) zugestellten Zahlungsklage nimmt sie die Beklagte auf Ausgleich offener Mehrarbeitsvergütung von noch[5] (100,31 [Stunden] zu jeweils 14,42 Euro[6]=) 1.446,47 Euro (brutto) nebst Prozesszinsen in Anspruch. Sie behauptet, das hohe Mehrarbeitspensum habe sich daraus ergeben, dass sie als Sekretärin für den Geschäftsführer der Beklagten gearbeitet habe, wobei „generell erwartet” worden sei, „dass die Sekretariatsmitarbeiterinnen parallel zum Geschäftsführer anwesend” seien[7].

IV. Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.446,47 Euro (brutto) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

V. Sie hält die Forderung der Sache nach für gegenstandslos:

1. Zunächst bestehe ein Anspruch auf Über- und Mehrarbeitsstundenabgeltung nach dem vertraglichen Reglement (Nr. 3 Abs. 3 ArbV; s. ob...

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