Leitsatz (amtlich)

I. Dem einer schwangeren Frau ärztlich nach § 3 Abs. 1 MuSchG bescheinigten Beschäftigungsverbot kommt im Hinblick auf die Gefährdungslage „hoher Beweiswert” zu (ständige Rechtsprechung; s. statt vieler BAG 07.11.2007 – 5 AZR 883/06 – AP § 3 MuSchG 1968 Rn. 21 [Rn. 17]). Das gilt erst Recht, wenn eine zweite Arztperson das Verbot auf Verlangen des Arbeitgebers bestätigt hat.

II. Soweit dieser Beweiswert vom Arbeitgeber durch gegenläufige Anhaltspunkte „erschüttert” werden kann (BAG a.a.O.), ergibt sich ein solcher Erschütterungswert nicht schon daraus, dass der Arbeitgeber vor der Erteilung des Beschäftigungsverbots bei der betreffenden Arbeitnehmern keine schwangerschaftsbedingten Beschwerden habe erkennen können; ebenso wenig ergibt sich ein Indiz daraus, dass die betreffende Frau zuvor bereits mehrere Schwangerschaften ohne erkennbare Komplikationen absolviert hat.

III. Soweit der Frau (hier: für einen Teil des Verbotszeitraums) zusätzlich Arbeitsunfähigkeit bescheinigt ist (§ 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG), steht dies ihrem Anspruch auf „Mutterschutzlohn” (§ 11 Abs. 1 Satz 1 MuSchG) nicht entgegen: Die frühere Judikatur des Bundesarbeitsgerichts, wonach Arbeitsunfähigkeit eine Verbotslage im Sinne des § 3 Abs. 1 MuSchG – juristisch – ausschlösse (s. etwa BAG 05.07.1995 – 5 AZR 135/94 – AP § 3 MuSchG 1968 Nr. 7 [Rn. 22]), ist sachlich durch das Gesetz über den Ausgleich der Arbeitgeberaufwendungen für Entgeltfortzahlung – Aufwendungsausgleichsgesetz (AAG) vom 22.12.2005 (BGBl. I S. 3686), das die Kostenlast nicht erst nach sechs Wochen, sondern zur Entlastung des Einzelarbeitgebers von vornherein im vollen Umfange an die Solidargemeinschaft weiter gibt, überholt.

 

Tenor

I. Wegen der Zahlung von 1.883,20 Euro (brutto) nebst anteiliger Verzugszinsen und wegen der Verdienstabrechnung für Juni 2012 ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt.

II. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 941,60 Euro (brutto) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Juli 2012 zu zahlen.

III. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

IV. Der Wert der Streitgegenstände wird auf 1.341,60 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

Es geht um sogenannten „Mutterschutzlohn” (§§ 11 Abs. 1 Satz 1[1], 3 Abs. 1[2] MuSchG) und (zusätzliches) Urlaubsgeld. – Vorgefallen ist dies:

I. Die (heute[3]) 38-jährige Klägerin steht seit September 1997 als Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte[4] mit ursprünglich 20 Wochenarbeitsstunden in den Diensten des Beklagten, der eine Anwalts- und Notariatskanzlei betreibt. Sie ist Mutter dreier Kinder und bezog zur Zeit der Ereignisse, die den Hintergrund des Rechtsstreits bilden, als einzige Mitarbeiterin des Beklagten bei 32 Wochenarbeitsstunden ein Monatsgehalt von 1.883,20 (brutto) entsprechend 1.334,29 Euro (netto). § 9 des nach Erscheinungsbild und Diktion vom Beklagten gestellten Arbeitsvertrages trifft folgende Bestimmungen:

㤠9 Urlaub

Die Arbeitnehmerin erhält kalenderjährlich einen Erholungsurlaub von 25 Arbeitstagen. Der Urlaub ist unter Berücksichtigung der betrieblichen Belange einvernehmlich festzulegen.

Bei Urlaubsantritt erhält die Arbeitnehmerin ein zusätzliches Urlaubsgeld von in Höhe von 1/2 des vereinbarten Brutto-Monatsgehaltes”.

II. Mit besagten „Ereignissen” hat es folgende Bewandtnis:

1. Am 9. Februar 2012 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass sie im September 2012 ihr viertes Kind erwarte[5]. Daraufhin kam es am 10. Februar 2012 zu einem Gespräch zwischen den Parteien, dessen Stil, Inhalte und Verlauf keine der Parteien im Einzelnen unterbreitet hat. Allerdings legt der Beklagte dazu im Rechtsstreit[6] mit Schriftsatz vom 29. August 2012[7], zu dem die Klägerin sich vor dem Kammertermin am 31. August 2012 nicht mehr geäußert hat[8], Wert auf folgende Darstellung:

„Nachdem die Klägerin am 09.02.2012 ihre Schwangerschaft mitgeteilt hatte, bat sie der Beklagte am 10.02.2012 um Mitteilung, wie sie sich ihre weitere Tätigkeit im Hinblick auf die Schutzfristen und einen gegebenenfalls anschließenden Erziehungsurlaub vorstelle. Dazu meinte sie – für den Beklagten völlig überraschend –, dass es auch die Möglichkeit einer ‚Eigenkündigung’ gebe und sich der Beklagte eine andere Mitarbeiterin suchen müsse”.

2. Wie es den Parteien hiernach miteinander erging, ist gleichfalls nur fragmentarisch beleuchtet. Fest steht, dass der Beklagte der Klägerin für die Folgezeit – wiederum im erwähnten Schriftsatz vom 29. August 2012 – eine Reihe von „Arbeitsversäumnissen” anlastet[9], auf deren Einzelheiten verwiesen sei. Fest steht des Weiteren, dass die Klägerin am 26. April 2012 nicht zur Arbeit erschien. Am selben Tage erreichte den Beklagten ein Attest gleichen Datums[10] (Kopie: Urteilsanlage II.), mit dem ihre Ärztin (Frau Dr. med. P. R.) ihr absolutes Beschäftigungsverbot erteilte.

3. Damit lässt es der Beklagte, der wegen des sogenannten „Mutterschutzlohnes” (s. § 11 Abs. 1 Satz 1 MuSchG[11]) am Ausgleichsverfahren nach § 1 AAG[12] teilnimmt, nicht bew...

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