Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebskrankenkasse. Schließung. gesetzliche Beendigung der Arbeitsverhältnisse. Unterbringungsverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei der Auflösung oder Schließung einer Betriebskrankenkasse endet das Arbeitsverhältnis eines bei einer Betriebskrankenkasse beschäftigten ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers nicht nach § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB i.V.m. § 155 Abs. 4 Satz 9 SGB V, wenn dieser kein den Erfordernissen des § 164 Abs. 3 Satz 3 SGB V entsprechendes, zumutbares Angebot auf Weiterbeschäftigung erhalten hat.

2. Da zu den die bisherige Dienststellung prägenden Arbeitsbedingungen auch die tariflich ordentliche Unkündbarkeit gehört, liegt ein nach § 164 Abs. 3 Satz 3 SGB V zumutbares Angebot nur vor, wenn die ordentliche Unkündbarkeit auch in dem neuen Arbeitsverhältnis erhalten bleibt.

 

Normenkette

SGB V § 164 Abs. 3-4, § 155 Abs. 4 S. 9

 

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien über den 30. Juni 2011 fortbesteht und auch durch die Kündigung der Beklagten vom 19. Mai 2011 weder zum 30. Juni 2011 aufgelöst wurde, noch zum 31. Dezember 2011 aufgelöst werden wird.

II. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits über den Klagantrags zu 1) zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Sachbearbeiterin weiterzubeschäftigen.

III. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

IV. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 28.360,62 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die gesetzliche Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses sowie die Wirksamkeit einer Kündigung.

Die am … 1958 geborene Klägerin war seit dem 16. September 1991 beim Land Berlin im Bereich der Betriebskrankenkasse (BKK) beschäftigt. Das Arbeitverhältnis der Klägerin ging zum 1. Januar 1999 auf die BKK Berlin über. Zum 1. Januar 2004 schloss sich die BKK Berlin mit der BKK Hamburg zusammen. Aus dieser Fusion entstand die Beklagte, die zum 1. Januar 2005 mit der BKK Bauknecht und der BeneVita BKK fusionierte.

Bei der Beklagten handelte es sich um eine sog. geöffnete Betriebskrankenkasse, die etwa 425 Arbeitnehmer beschäftigte. Die Klägerin war zuletzt als Sachbearbeiterin Krankengeld gegen eine Bruttomonatsvergütung von 3.629,46 EUR bei ihr tätig. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fanden die Tarifverträge für die Betriebskrankenkassen Anwendung. Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 des Manteltarifvertrags für die Beschäftigten der Betriebskrankenkassen vom 15. März 2010/24. März 2011 (MTV) kann das Arbeitsverhältnis nach Vollendung des 50. Lebensjahres und einer zehnjährigen Beschäftigungszeit nur fristlos aus einem in der Person oder im Verhalten des Beschäftigten liegenden wichtigen Grund gekündigt werden.

Am 07. April 2011 zeigte der Vorstand der Beklagten dem Bundesversicherungsamt (BVA) die Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung der Beklagten an. Das BVA ordnete mit einem Bescheid vom 04. Mai 2011 die Schließung der Beklagten zum Ablauf des 30. Juni 2011 und die sofortige Vollziehung dieser Verfügung an. Mit Schreiben vom 09. Mai 2011 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass ihr Arbeitsverhältnis mit der Schließung zum 30. Juni 2011 ende.

Der Landesverband der Betriebskrankenkassen unterbreitete der Klägerin mit Schreiben vom 13. Mai 2011 ein Beschäftigungsangebot, das ua. folgenden Inhalt hatte:

„Entsprechend dem uns von der C. BKK für sie übermittelten Tätigkeitsprofil bieten wie Ihnen im Auftrag der DIE B. KRANKENKASSE folgende Beschäftigung an:

BKK, Sitz:

DIE B. KRANKENKASSE, Solingen

Standort:

Solingen

Funktion:

Sachbearbeiterin

Geschäftsbereich:

Krankengeldfallmanagement

Vergütung:

E 5, 2.400 – 2.500 EUR (unter Berücksichtigung der Fähigkeiten und bisherigen Dienststellung)

Anzuwendender Tarifvertrag:

BKK Tarif”

Die Klägerin lehnte dieses Angebot ab.

Die Beklagte firmiert seit ihrer Schließung als „C. BKK Körperschaft des öffentlichen Rechts in Abwicklung”. Die Klägerin schloss am 30. Juni 2011 für die Zeit ab dem 1. Juli 2011 einen bis zum 30. September 2011 befristeten Arbeitsvertrag als Sachbearbeiterin mit der „C. BKK Körperschaft des öffentlichen Rechts in Abwicklung”. Dieser hat auszugsweise folgenden Wortlaut:

„Präambel

Die Arbeitgeberin ist eine eigenständige Körperschaft des öffentlichen Rechts in Abwicklung, die mit den Abwicklungsarbeiten der mit Ablauf des 30. Juni 2011 geschlossenen C. BKK betraut ist. Die Arbeitgeberin ist nicht die Rechtsnachfolgerin der C. BKK.”

Der befristete Vertrag wurde in der Folgezeit mit Wirkung zum 16. Oktober 2011 verlängert. Die Klägerin hat sowohl gegen die Befristung zum 30. September 2011 als auch deren Verlängerung zum 16. Oktober 2011 Klage vor dem Arbeitsgericht Berlin erhoben (– 60 Ca 12031/11 –; – 33 Ca 16777/11 –).

Mit Schreiben vom 20. April 2011 und 04. Mai 2011 unterrichtete die Beklagte den bei ihr gebildeten Hauptpersonalrat darüber, dass sie die Arbeitsverhältnisse aller Mitarbeiter vorsorglich zum 30. Juni 2011 und höchst vorsorglich ordentlich fristgemäß bzw. – bei den tariflich ordent...

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