Entscheidungsstichwort (Thema)

betriebsbedingte Kündigungen von Grundschullehrern. Weiterbeschäftigungsanspruch nach Zustimmungsverweigerung des Personalrates

 

Leitsatz (amtlich)

1. Wenn ein im Haushaltsgesetz für den Bereich des Kultusministeriums festgelegter künftiger Stellenwegfall nicht durch ein auf den Stellenbedarf der jeweiligen Dienststelle zugeschnittenes Konzept der zuständigen Verwaltung, das nach sachlichen Merkmalen genau bestimmte Stellen voraussetzt, untersetzt ist, bedarf es zur Darstellung eines dringenden betrieblichen Erfordernisses der Darlegung konkreter Umstände, die den Schluß zulassen, dass sich die Arbeitsmenge (Unterrichtsbedarf) unter Beachtung des gesetzlichen Bildungsauftrages derart nachhaltig verringert hat, dass deswegen der Beschäftigungsbedarf für eine bestimmte Anzahl von Lehrerinnen und Lehrern auf Dauer entfallen ist. Eine wissenschaftlich abstrakte Berechnungsmethode spiegelt die tatsächlichen Umstände nicht mit der erforderlichen Genauigkeit wieder und ist zur Darstellung eines Kündigungssachverhaltes ungeeignet.

2. Die Feststellung eines dringenden betrieblichen Erfordernisses setzt voraus, dass die Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz ggf. in einer anderen Schulart zu geänderten Bedingungen nicht möglich ist.

Es ist davon auszugehen, dass auch zukünftig die Weiterbeschäftigung in einer anderen Schulart möglich ist, wenn dies in der Vergangenheit so praktiziert wurde „Swing-Modell”).

Dem entgegenstehende Tatsachen hat der Beklagte ggf. darzulegen und zu beweisen.

Unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ist der Beklagte vor Ausspruch einer Beendigungskündigung zur Unterbreitung eines Änderungsangebotes verpflichtet.

3. Eine Kündigung ist gemäß § 1 Abs. 3 KSchG unwirksam, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl der zu Kündigenden den auswahlrelevanten Personenkreis verkennt.

Funktionell bezieht sich die Sozialauswahl unter Beachtung von § 12 BAT-O auf alle Arbeitsplätze, die von dem Arbeitsvertrag des jeweiligen Arbeitnehmers erfaßt sind. Die betriebliche Organisation des Beklagten läßt es zu, auch Teilzeitkräfte – soweit es sich um vergleichbare Arbeitnehmer handelt – in die soziale Auswahl einzubeziehen. Die soziale Auswahl muß sich auf sämtliche Grundschullehrer beziehen, die nicht einem gesetzlichen Kündigungsschutz unterliegen und deswegen von vornherein aus der Sozialauswahl herausfallen. Die Beschränkung der Sozialauswahl auf sogenannte kündbare Arbeitnehmer im jeweiligen Schulamtsbereich ist unzulässig. Die Zusage von einzelvertraglichem Kündigungsschutz schließt eine gesetzliche Sozialauswahl nicht aus.

§ 1 Abs. 3 KSchG ist zwingendes Recht, das nicht einzelvertraglich abbedungen werden kann.

Allerdings könnten sich Arbeitnehmer, die mit dem Arbeitgeber individuellen Kündigungsschutz vereinbart haben, im Falle ihrer Auswahl bei einer ordnungsgemäßen gesetzlichen Sozialauswahl auf die vertragliche Vereinbarung ihrer Unkündbarkeit berufen, so dass der Arbeitgeber bei ordnungsgemäßer Sozialauswahl den sozial vorrangig zu kündigenden Arbeitnehmer infolge zugesagten Kündigungsschutzes auch nicht kündigen kann.

Bei offensichtlicher Verkennung des auswahlrelevanten Personenkreises spricht eine vom Arbeitgeber auszuräumende tatsächliche Vermutung dafür, dass die Auswahl im Ergebnis sozialwidrig ist.

4. Eine Kündigung verstößt gegen § 612 a BGB und ist damit unwirksam, wenn der Arbeitnehmer im Zusammenhang mit dem von ihm zulässig ausgeübten Recht – Beharrung auf dem ursprünglich abgeschlossenen Arbeitsvertrag – ein vom Arbeitgeber unterbreitetes Teilzeitangebot abgelehnt hat und deshalb gekündigt wurde.

5. Die Kündigungsbefugnis eines beim Freistaat Thüringen angestellten Lehrers liegt beim Thüringer Kultusminister.

Sie ergibt sich aus dem Beschluß der Thüringer Landesregierung vom 07.11.1999.

Der Thüringer Kultusminister kann die nachgeordnete Dienststelle mit dem Ausspruch von Kündigungen beauftragen.

Dazu ist die Erteilung einer Kündigungsbefugnis (Vollmacht) erforderlich, die der Kündigung beigelegt werden muß oder dem zu Kündigenden vom Vollmachtgeber mitzuteilen ist.

Aus § 4 Abs. 3 ThürSchAG kann eine gesetzliche Kündigungsbefugnis des Schulamtsleiters nicht abgeleitet werden.

6. Der Hinweis auf Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten auch in einer anderen Schulart sowie nach Fortbildungsmaßnahmen ist ausreichend, um einen Weiterbeschäftigungsanspruch nach Zustimmungsverweigerung des Personalrates auszulösen.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 1-3; BGB § 174 S. 1, § 612a; ThürPersVG § 78 Abs. 2 S. 1

 

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Prozeßparteien nicht durch die Kündigung des Beklagten vom 28.03.2001 aufgelöst wird.

 

Tatbestand

Die Prozeßparteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen, betriebsbedingten Kündigung.

Die am 21.05.1957 geborene Klägerin ist seit 1977 als Grundschullehrerin tätig und war zuletzt an der Grundschule S beschäftigt.

Sie hat zwei unterhaltsberechtigte Kinder, wobei eine Tochter schwerbehindert ist. Der Ehemann...

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