Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsentgelt
Nachgehend
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger DM 1.164,92 (i.W.: Eintausendeinhundertvierundsechszig) brutto nebst 4 % Zinsen, aus dem Nettobetrag seit dem 13.11.96 zu bezahlen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Streitwert: DM 1.164,82
Tatbestand
Der Kläger ist seit 1.4.1984 als Bautechniker gegen eine Vergütung von monatlich 6.684,– DM brutto bei der Beklagten beschäftigt.
Auf das Arbeitsverhältnis ist – kraft beiderseitiger Tarifbindung – der RTV für die technischen und kaufmännischen Angestellten des Baugewerbes in der Fassung vom 19.5.1992 anwendbar.
§ 4 Ziff. 2.2, 1. Abs. dieses RTV lautet:
„Ist ein Angestellter infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert (Arbeitsunfähigkeit), ohne daß ihn ein Verschulden trifft, so hat er gegen seinen Arbeitgeber einen Anspruch auf Fortzahlung des Gehalts bis zur Dauer von 6 Wochen.”
Vom 10. bis 31.10.1996 war der Kläger arbeitsunfähig krank. Die Beklagte vergütete ihm nur 80 % seiner Vergütung als Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle.
Mit seiner Klage macht der Kläger die restlichen 20 % geltend und beantragt:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.164,92 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 13.11.1996 (Geltendmachung) zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt
Klageabweisung.
Sie vertritt die Auffassung, die Bestimmung des RTV über die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle sei nur deklaratorischer Natur; es müßten also die gesetzlichen Bestimmungen herangezogen werden. § 4 Abs. 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes in der Fassung vom 25.9.1996 sehe aber nur 80 % Entgeltfortzahlung vor.
Im einzelnen kann auf das weitere Vorbringen der Parteien Bezug genommen werden.
Entscheidungsgründe
I.
Die Klage ist zulässig; insbesondere ist das Arbeitsgericht München sachlich und örtlich zuständig (§§ 2 Abs. 1 Ziff. 3 ArbGG, 17 ZPO).
II.
Die Klage ist auch begründet. Der Anspruch des Klägers auf – 100 %ige – Entgeltfortzahlung ergibt sich aus § 4 des RTV für die technischen und kaufmännischen Angestellten des Baugewerbes, nicht aber aus § 4 Entgeltfortzahlungsgesetz i.d.F. vom 25.9.1996.
Der Höhe nach ist die Klageforderung im übrigen nicht streitig.
Die Beklagte beruft sich auf eine Entscheidung des BAG, wonach tarifliche Bestimmungen im Zweifel dann nur „deklaratorischen” Charakter haben, wenn dort gesetzliche Vorschriften wörtlich oder inhaltlich unverändert aufgenommen werden, und der Wille der Tarifverträgsparteien zu einer gesetzesunabhängigen eigenständigen Tarifregelung im Tarifvertrag keinen hinreichend erkennbaren Ausdruck gefunden hat. Der Sinn einer derartigen „deklaratorischen” Regelung soll danach nur in einer gewissen Übersichtlichkeit und Vollständigkeit des Tarifwerks liegen (vgl. zuletzt BAG vom 5.10.1995 – NZA 96, 539).
Nun ist diese Auffassung des BAG dogmatisch äußerst gewagt, insofern nämlich eine „deklaratorische” vertragliche oder tarifvertragliche Regelung vom Gesetz nicht vorgesehen ist. Auch spricht, wenn die Tarifvertragsparteien eine gesetzliche Regelung wörtlich oder inhaltlich unverändert übernehmen, mehr dafür, daß die Parteien die aktuelle Gesetzeslage festschreiben wollen, als dafür, daß sie eine „deklaratorische”, also garkeine Regelung treffen wollen. Wollen die Parteien nur die jeweilige gesetzliche Lage vereinbaren, so kann davon ausgegangen werden, daß sie ebendies tun. Jedenfalls erscheint es als befremdlich, den Tarifvertragsparteien, die eine bestimmte Regelung treffen, zuzumuten, im Tarifvertrag auch noch ausdrücklich klarzustellen, daß sie die getroffene Regelung auch tatsächlich wollen – und zwar nur deshalb, weil sie eine gesetzliche Regelung übernommen haben.
Überdies wird – wie das BAG in seiner angesprochenen Entscheidung auch keineswegs verkennt – die von einer „deklaratorischen” Regelung bezweckte Vollständigkeit und Übersichtlichkeit des Tarifvertrages verfehlt, wenn das Gesetz geändert wird. Auch sind die Rechtsfolgen dogmatisch unklar: entfällt die tarifliche Regelung mit der Folge, daß das Gesetz gilt, oder wird die tarifliche Regelung der gesetzlichen Neuregelung automatisch angepaßt?
Unabhängig davon ist aber im gegebenen Fall davon auszugehen, daß die Tarifvertragsparteien mit § 4 Ziff. 2.2, 1. Abs. des RTV für die techn. und kaufm. Angestellten des Baugewerbes eine gesetzesunabhängige, eigenständige Tarifregelung getroffen haben. Eine nur „deklaratorische” Regelung, wie sie das BAG im Auge hat, würde nämlich den rechtsgeschäftlichen Willen voraussetzen, sich im Falle einer Gesetzesänderung allen denkbaren künftigen gesetzlichen Regelungen zu unterwerfen.
Ebendies kann aber im Falle der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle nicht angenommen werden, jedenfalls nicht auf seiten der Gewerkschaften. Zum einen haben die Gewerkschaften mit einer gesetzlichen Reduzierung des Entgeltfortzahlungsanspruchs bei Abschluß des Tarifvertrages gar nicht ernstlich ger...