Rechtskräftig? Ja
Entscheidungsstichwort (Thema)
Unterlassungsanspruch. Betriebsänderung. Einstweilige Verfügung
Leitsatz (amtlich)
Der Betriebsrat hat keinen Unterlassungsanspruch gegen den Arbeitgeber, wenn und solange der Betriebsrat noch nicht hinreichend über eine Betriebsänderung nach § 111 BetrVG 1972 informiert wurde. Eine entsprechende Unterlassungsverfügung würde erheblich über den Hauptsacheanspruch hinausgehen und wäre allenfalls dann zu vertreten, wenn es keine anderen geeigneten Mittel gäbe, den Verfügungsanspruch auf Information durchzusetzen. Es gibt andere geeignete Mittel, den Anspruch auf Information durchzusetzen.
Normenkette
BetrVG 1972 §§ 111, 113; ZPO §§ 935, 938
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Tatbestand
I.
Die Beteiligte zu 2, der Arbeitgeber, beschloß Ende 1997, den Betrieb zum Sommer 1998 stillzulegen. Bei dem Arbeitgeber sind 13 gewerbliche Arbeitnehmer, 5 Angestellte und 13 Auszubildende, davon zumindest 3 Volljährige, beschäftigt. Der Arbeitgeber schloß mit dem Betriebsrat, dem Beteiligten zu 2, am 13.02.1998 einen Vergleich, wonach die zu Interessenausgleichsverhandlungen erforderlichen Informationen dem Betriebsrat bis zum 26.02.1998 übermittelt werden und bis dahin betriebsbedingte Beendigungskündigungen bei Androhung eines Ordnungsgeldes in Höhe von 200.000,00 DM zu unterlassen sind.
Auf der Grundlage eines entsprechenden Beschlusses beantragt der Betriebsrat (Bl. 34 f., 2) im Wege der einstweiligen Verfügung,
dem Arbeitgeber zu untersagen, betriebsbedingte Beendigungskündigungen vorzunehmen, bis Verhandlungen über einen Interessenausgleich entsprechend §§ 112 Abs. 1 und 2 BetrVG abgeschlossen oder gescheitert sind, längstens jedoch bis zum 08.04.1998, und für den Fall, daß keine Einigungsstelle angerufen wird, längstens bis zum 08.03.1998
sowie für den Fall der Zuwiderhandlung gegen diese Verpflichtung dem Arbeitgeber ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 500.000,00 DM anzudrohen, ersatzweise Ordnungshaft, zu vollstrecken an dem Geschäftsführer des Arbeitgebers Herrn ….
Der Arbeitgeber beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Er meint, der Betriebsrat sei am 08.01.1998 mündlich umfassend unterrichtet worden. Die Interessenausgleichsverhandlungen seien zwischenzeitlich gescheitert.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der Akte verwiesen. Die Antragsschrift in dem Verfahren als 1 BVGA 4/98 ist zum Gegenstand der Anhörung gemacht worden.
Entscheidungsgründe
II.
1. Die gestellten Anträge sind für den Zeitraum bis zum 26.02.1998 einschließlich unzulässig. Aufgrund des Vergleiches besteht kein Rechtsschutzbedürfnis mehr. Im übrigen sind die Anträge zulässig. Der für die Einleitung eines Beschlußverfahrens erforderliche Betriebsratsbeschluß liegt vor. Die Anträge sind jedoch unbegründet.
Einstweilige Verfügungen sind im Bereich des Beschlußverfahrens grundsätzlich möglich. Sie haben Erfolg, wenn ein Antrag gestellt wird, aus dem sich das Rechtsschutzziel ergibt, wenn ein Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund glaubhaft gemacht werden sowie wenn eine Anordnung denkbar ist, die sich im Rahmen des Rechtsschutzzieles bewegt und möglichst die Hauptsache nicht vorwegnimmt, insbesondere kein Mehr gegenüber dem Hauptsachanspruch darstellt, §§ 85 Abs. 2 ArbGG, 935, 938 ZPO (vgl. Vollkommer in Zöller, ZPO, 20. Aufl., 1997, § 938, Rz. 2–3).
Der Betriebsrat hat sein Rechtsschutzziel hinreichend deutlich gemacht. Er hat zwar keinen Unterlassungsanspruch gegen den Arbeitgeber (näher 2.,3.), aber einen Beratungs- und Informationsanspruch, der noch nicht erfüllt wurde (näher 4.). Ob ein Verfügungsgrund besteht, kann offenbleiben. Denn es läßt sich keine Regelung im Rahmen des begehrten Rechtsschutzzieles treffen, die nicht inhaltlich über den Hauptsachanspruch hinausgehen würde (näher 5.).
2. Es ist heftig umstritten, ob oder inwieweit dem Betriebsrat ein Unterlassungsanspruch gegen den Arbeitgeber zusteht, wenn und solange der Betriebsrat noch nicht hinreichend informiert wurde. Das Bundesarbeitsgericht hatte die Frage noch nicht zu entscheiden, geht jedoch davon aus, daß außerhalb von § 23 Abs. 3 BetrVG auch ansonsten ein Unterlassungsanspruch des Betriebsrates besteht, wenn anders die Wahrnehmung der Beteiligungsrechte des Betriebsrates nicht gesichert werden kann (BAG vom 03.05.1994, BAGE 76, 364 ff., 373; BAG vom 06.12.1994, BAGE 78, 379 ff., 382). Ob ein entsprechender Unterlassungsanspruch besteht, ist unter den Landesarbeitsgerichten, bei den BAG-Richtern und in der Literatur heftig umstritten (für einen Unterlassungsanspruch LAG Berlin, LAGE § 111 BetrVG 1972 Nr. 13, LAG Hamburg, AUR 1998, 87 f.; LAG Frankfurt, DB 1983, 613; DB 1985, 178; LAG Hamm, AuR 1984, 54; Däubler in Däubler u. a., BetrVG, 5. Aufl., 1996, §§ 112, 112 a, Rz. 23; Dütz, DB 1984, 115 ff, 126 f.; Fabricius in Gemeinschaftskommentar zum BetrVG, Band 2, 5. Aufl., 1995, § 111, Rz. 362; Fitting/Kaiser/Heither/Engel, BetrVG, 18. Aufl., 1996, §§ 112, 112 a, Ziffer 17; Matthes in Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Band 3, 19...