Prof. Dr. Reinhard Vossen
Rz. 42
Liegen die Voraussetzungen des § 9 TzBfG vor, muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer bevorzugt berücksichtigen und der Verlängerung der Arbeitszeit zustimmen. Die Formulierung des § 9 TzBfG ("hat zu berücksichtigen") zeigt, dass dem Arbeitgeber von vornherein kein Ermessen hinsichtlich der bevorzugten Berücksichtigung eingeräumt ist. Der Anspruch auf bevorzugte Berücksichtigung ergibt für den Arbeitnehmer nur Sinn, wenn ihm auch ein individueller Rechtsanspruch auf Verlängerung der Arbeitszeit zusteht, d. h. auf Abschluss eines Änderungsvertrags. Der Zweck des § 9 TzBfG, die Ermöglichung des Wechsels von Teilzeit in Vollzeit, wird nur durch Gewährung eines individuellen Rechtsanspruchs erreicht, der gerichtlich durchsetzbar ist.
Rz. 43
§ 9 TzBfG enthält keine Regelung zur Höhe des Arbeitsentgelts bei einer Verlängerung der Arbeitszeit. Die in diesem Fall anstehende Anpassung der Vergütung an die nun geltende Arbeitszeit obliegt an sich den Parteien. Unterbleibt eine entsprechende Vereinbarung, bedarf es einer ergänzenden Vertragsauslegung der durch die Aufstockung von Teilzeit auf Vollzeit entstandenen Vertragslücke. Für diese ist maßgeblich, was die Parteien für einen solchen Fall bei einer angemessenen Abwägung der beiderseitigen Interessen nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) als redliche Vertragsparteien vereinbart hätten. Entsprechend der im Arbeitsleben herrschenden Praxis, die Höhe der Vergütung auch im zeitlichen Umfang der Arbeitsleistung zu bemessen, würden redliche Vertragsparteien bei der Aufstockung von Teilzeit auf Vollzeit zumindest eine quotal dem Umfang der Erhöhung der Arbeitszeit entsprechende Erhöhung des Arbeitsentgelts vereinbaren. Dies muss auch für betriebliche Zulagen, die im Zusammenhang mit der Arbeitszeit stehen, gelten. Mit seinem Verlängerungsverlangen nach § 9 TzBfG wahrt der Arbeitnehmer zugleich eine einzel- oder tarifvertragliche Ausschlussfrist, die für die einfache Geltendmachung der Differenzvergütung nach Erfüllung des Verlängerungswunsches gilt.
Rz. 44
Hat der Arbeitgeber den freien Arbeitsplatz endgültig mit einem anderen Bewerber unter Verstoß gegen § 9 TzBfG besetzt, steht dem nach dieser Norm bevorzugt zu berücksichtigenden Arbeitnehmer ein Schadensersatzanspruch nach §§ 280 Abs. 1, 3, 283 Satz 1, 275 Abs. 1, 4, §§ 249, 251 Abs. 1, 252 BGB zu. Zwar besteht auch nach Besetzung des Arbeitsplatzes – hierauf kann sich der Arbeitgeber auch dann berufen, wenn er die Besetzung in Kenntnis des Änderungsverlangens des benachteiligten Arbeitnehmers vorgenommen hat – weiterhin ein Anspruch auf Erfüllung. Jedoch kann das Arbeitsverhältnis mit dem Bewerber, mit dem der Arbeitsplatz besetzt worden ist, nur für die Zukunft gekündigt werden. Die Verlängerung der Arbeitszeit ist bis zum Ablauf der Kündigungsfrist daher rechtlich unmöglich (vgl. § 275 Abs. 1 BGB) geworden. Der benachteiligte Arbeitnehmer kann vom Arbeitgeber nicht verlangen, dass dieser den nun besetzten Arbeitsplatz wieder freikündigt.
Rz. 45
Der Schadensersatzanspruch besteht aber nur bei Verschulden des Arbeitgebers i. S. v. § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB bzw. §§ 278 Satz 1, 31 BGB. Er entfällt daher, sofern sich der Arbeitgeber in einem entschuldbaren Rechtsirrtum befunden hat. Dies ist der Fall, wenn der Arbeitgeber die Sach- und Rechtslage sorgfältig, gegebenenfalls unter Hinzuziehung anwaltlichen Rechtsrats, geprüft hat und mit einem Unterliegen im Rechtsstreit nicht zu rechnen brauchte. Ein normales Prozessrisiko entlastet ihn nicht. Der Schadensersatzanspruch ist grundsätzlich zeitlich unbegrenzt. Eine Begrenzung könnte allenfalls auf § 252 Satz 2 BGB gestützt werden, sofern der Arbeitgeber nachweisen könnte, dass der benachteiligte Arbeitnehmer den eigentlich ihm nach § 9 TzBfG zustehenden Arbeitsplatz zu einem späteren Zeitpunkt wieder verloren hätte.
Rz. 46
Hinsichtlich der Höhe des Schadensersatzanspruchs ist auf die Gehaltsdifferenz zwischen der Teilzeit- und der Vollzeitbeschäftigung abzustellen.