Leitsatz
Der EUGH hat entschieden, dass angestellte Väter unabhängig vom beruflichen Status der Mutter des gemeinsamen Kindes Anspruch auf sog. Stillurlaub haben. Nationale Regelungen, die dies Vätern versagen, wenn die Mutter ihres Kindes nicht abhängig beschäftigt ist, verstoßen gegen das Geschlechterdiskriminierungverbot.
Sachverhalt
Dem Urteil lag ein Fall aus Spanien zugrunde. Das Arbeitnehmerstatut bestimmt, dass Mütter, die abhängig beschäftigt sind, in den ersten 9 Monaten nach der Geburt ihres Kindes Stillurlaub nehmen können. Damit ist ein Anspruch auf eine Stunde Arbeitsbefreiung verbunden. Ausdrücklich vorgesehen ist, dass dieser Urlaub von der Mutter und vom Vater in Anspruch genommen werden kann, sofern beide arbeiten. Einem Spanier wurde der Antrag auf Stillurlaub mit der Begründung verwehrt, dass die Mutter seines Kindes keine Arbeitnehmerin, sondern selbstständig tätig sei. Dagegen klagte er.
Das spanische Rechtsmittelgericht hielt diese Regelung für unvereinbar mit EU-Recht, da sie dem Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen zuwiderlaufe und legte daher die Frage, ob der Anspruch auf Stillurlaub nicht Männern und Frauen gewährt werden müsse, unabhängig davon, ob die Mutter abhängig beschäftigt sei oder nicht, dem EuGH zur Entscheidung vor. Der EuGH entschied, dass die spanische Regelung, wonach ein abhängig beschäftigter Vater diesen Urlaub nur dann anstelle der Mutter seines Kindes in Anspruch nehmen kann, wenn diese abhängig beschäftigt ist, eine Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts darstelle. Nach den EU-Richtlinien ist jegliche Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts verboten. Abhängig beschäftigte Väter haben danach unabhängig vom beruflichen Status der Mutter ihres Kindes Anspruch auf Stillurlaub.
Die Situation sei im Hinblick auf die Notwendigkeit, die tägliche Arbeitszeit zu verringern, um sich um das Kind zu kümmern mit der von zwei Arbeitnehmern vergleichbar. Gleichwohl reiche nach der Regelung des spanischen Arbeitnehmerstatuts die Eigenschaft als Elternteil für männliche Arbeitnehmer nicht aus, um diesen Urlaub in Anspruch nehmen zu können, wohl aber für weibliche Arbeitnehmer. In Spanien könne der Vater nur dann, wenn die Mutter abhängig beschäftigt sei und damit Anspruch auf Stillurlaub habe, diesen an ihrer Stelle in Anspruch nehmen. Dadurch werde eine Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts geschaffen.
Zum einen habe der Stillurlaub nicht zum Ziel, den Schutz der körperlichen Verfassung der Frau nach der Schwangerschaft oder den Schutz der besonderen Beziehung zwischen Mutter und Kind zu gewährleisten. Dass der Urlaub sowohl vom Vater als auch von der Mutter genommen werden kann, bedeute vielmehr, dass beide für die Ernährung und die Kinderbetreuung sorgen können, sodass dieser Sonderurlaub den Arbeitnehmern in ihrer Eigenschaft als Eltern des Kindes gewährt werde. Zum anderen diene eine derartige Regelung nicht dazu, Benachteiligungen in der beruflichen Laufbahn zu verhindern. Zwar könne die spanische Regelung eine Begünstigung von Frauen bewirken, indem sie es abhängig beschäftigten Müttern ermöglicht, ihren Arbeitsplatz beizubehalten und sich zugleich ihrem Kind zu widmen, was dadurch verstärkt werde, dass der Kindsvater den Urlaub anstelle der Mutter in Anspruch nehmen könne, die somit keine nachteiligen Folgen für ihr Beschäftigungsverhältnis zu befürchten hätte.
Dagegen sei der Umstand, dass allein die abhängig beschäftigte Mutter den Urlaubsanspruch habe, geeignet, die herkömmliche Rollenverteilung zwischen Mann und Frau zu verfestigen. Außerdem könne dies dazu führen, dass eine selbstständig tätige Frau gezwungen sei, ihre berufliche Tätigkeit einzuschränken und die sich aus der Geburt ihres Kindes ergebende Belastung allein zu tragen, ohne dass der Vater des Kindes sie entlasten könnte.
Hinweis
In Deutschland ist die Stillzeit in § 7 MuschG geregelt. Danach ist Müttern auf ihr Verlangen die zum Stillen erforderliche Zeit, mindestens aber zweimal täglich eine halbe Stunde oder einmal täglich eine Stunde freizugeben. Das MuScHG gilt nur für Frauen, die in einem Arbeitsverhältnis stehen, nicht aber für Hausfrauen oder Selbständige.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil v. 30.9.2010, C-104/09.