BGH: Leibliche Mutter muss adoptiertem Kind helfen, seinen Vater zu ermitteln
Ob die inzwischen 37-Jährige jemals Gewissheit darüber bekommt, wer ihr leiblicher Vater ist, steht in den Sternen. Vom BGH jedoch hat sie jetzt alle Mittel zur Verfügung bekommen, die ein Gericht geben kann. Die Mutter, die das Kind einst zur Adoption freigab, ist ihm eine Recherche schuldig, die intensiver ist als ihre bisherigen halbherzigen Bemühungen.
Tochter der erst 16-Jährigen Mutter wird adoptiert
Die zur Auskunft verpflichtete Mutter hatte selbst einen denkbar schwierigen Start ins Leben. Sie wuchs in Familienverhältnissen auf, die als problematisch umrissen werden. Ihre Tochter kam zur Welt, da war sie gerade mal 16 Jahre alt und brach in der Folge die Hauptschule ab. Sie versuchte sich selbst um ihr Baby kümmern, bevor sie es zur Adoption freigab.
Versuche, den leiblichen Vater zu bestimmen, blieben ohne Ergebnis
Versuche herauszufinden, wer der Vater des Kindes ist, gab es ein paar. In dem Jahr nach der Geburt wurde ein Vaterschaftsfeststellungsverfahren durchgeführt, dann noch ein außergerichtlicher Vaterschaftstest mit einem anderen Mann. Beides blieb erfolglos. Mutter und Tochter sind sich mit Hilfe des Jugendamtes begegnet, nachdem die Tochter volljährig wurde. Alles was die Mutter zum leiblichen Vater sagen konnte, war, dass sie sich an keinen möglichen Erzeuger erinnern könne.
Mit gerichtlicher Hilfe erwirkt die Tochter den Auskunftsanspruch gegen die Mutter
Die junge Frau gab ihre Suche nach dem Vater nicht auf. Ab 2018 verfolgte sie ihr Ziel gerichtlich. Das AG Stuttgart stellte sich auf den Standpunkt ihrer Mutter, dass ihr die Auskunft unmöglich sei. Das OLG Stuttgart ließ die Mutter nicht so leicht davonkommen. Es verurteilte sie, alle Männer mit vollständigem Namen und Adresse zu benennen, mit denen sie zur fraglichen Empfängniszeit intim war. Dabei blieb es auch beim BGH.
Anspruch folgt aus Rücksichtnahmepflicht zwischen Eltern und Kindern
Glasklar auf der Hand liegt der Auskunftsanspruch nicht. Er wird aus dem Gebot des gegenseitigen Beistands und der Rücksichtnahme zwischen Eltern und Kindern (§ 1618a BGB) und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Kindes gezogen. Der Einzelne habe ein Schutzbedürfnis, was die Informationen über die eigene Abstimmung angeht. Staat und Gerichte müssen die Betroffenen insoweit unterstützen. Gerade weil es keine ausdrückliche Anspruchsgrundlage gibt, sieht der BGH sich bei der Auslegung des § 1618a BGB daher in der Pflicht.
Adoption hindert Auskunftsanspruch nicht
Der Anspruch wird nicht dadurch gehindert, dass die Tochter in einer Adoptivfamilie aufgewachsen ist. Die leibliche Mutter ist zwar nicht mehr die rechtliche Mutter, weil aber das Auskunftsverhältnis auf die Zeit vor der Adoption zurückgeht, bleibt es nach Auffassung des BGH unberührt. Damit soll eine Gleichbehandlung von adoptierten mit nicht adoptierten Kindern erreicht werden.
Solange noch Rechercheoptionen bestehen, muss ihnen nachgegangen werden
Wenn sich die Mutter aber nun mal – nach immerhin fast 40 Jahren – nicht erinnern kann? Dann kann das im Ergebnis bedeuten, dass der Vater nie gefunden wird. Aber, und das mutet man der Mutter zu, noch sind nicht alle Nachforschungsmöglichkeiten ausgeschöpft. Das OLG hatte der Auskunftspflichtigen bislang von ihr ungenutzt eine Reihe von Kontaktpersonen genannt, die bei der Suche helfen könnten.
(BGH, Beschluss v. 19.1.2022, XII ZB 183/21)
Hintergrund: Auskunftsanspruch des „Scheinvaters“
Interessant ist die Parallele zum Auskunftsanspruch des „Scheinvaters“, also der Person, die zunächst glaubte der Erzeuger zu sein. Nach erfolgreicher Vaterschaftsanfechtung will der „Gehörnte“ in der Regel Unterhaltsregress bei dem leiblichen Vater nehmen. Das BVerfG hat insoweit einen Auskunftsanspruch (§ 242 BGB) gegen die Mutter abgelehnt, weil deren Persönlichkeitsrecht gegenüber den „nur monetären“ Interessen des Mannes schwerer wiege. Hier wird der fehlende gesetzliche Auskunftsanspruch dem Aufgabenbereich des Gesetzgebers zugewiesen (BVerfG, Beschluss v. 24.2.2015, 1 BvR 472/14).
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