Leitsatz
1. Die Art. 59 EGV (jetzt Art. 49 EG) und 60 EGV (jetzt Art. 50 EG) stehen einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegen, nach der in der Regel bei Gebietsfremden die Bruttoeinkünfte, ohne Abzug der Betriebsausgaben, besteuert werden, während bei Gebietsansässigen die Nettoeinkünfte, nach Abzug der Betriebsausgaben, besteuert werden.
2. Dagegen stehen diese Artikel des EGV einer solchen nationalen Regelung nicht entgegen, soweit nach ihr in der Regel die Einkünfte Gebietsfremder einer definitiven Besteuerung zu einem einheitlichen Steuersatz von 25 % durch Steuerabzug unterliegen, während die Einkünfte Gebietsansässiger nach einem progressiven Steuertarif mit einem Grundfreibetrag besteuert werden, sofern der Steuersatz von 25 % nicht höher ist als der Steuersatz, der sich für den Betroffenen tatsächlich aus der Anwendung des progressiven Steuertarifs auf die Nettoeinkünfte zuzüglich eines Betrags in Höhe des Grundfreibetrags ergeben würde.
Normenkette
Art. 59 EGV (= Art. 49 EG) , Art. 60 EGV (= Art. 50 EG) , § 50a Abs. 4 Satz 2 EStG
Sachverhalt
Der niederländische Musiker Arnoud Gerritse trat in 1996 in Berlin bei einem Konzert auf. Er wurde nach § 50a Abs. 4 EStG i.H.v. 25 % seiner Brutto-Einnahmen pauschal besteuert. Eine beantragte Veranlagung wurde ihm vom FA mit Hinweis auf § 50 Abs. 5 Satz 1 EStG versagt.
Das FG Berlin sah darin einen Europarechtsverstoß, weshalb dieses den EuGH anrief (Beschluss vom 28.5.2001, IStR 2001, 443).
Entscheidung
Die Antwort und die Entscheidung des EuGH lässt sich kurzerhand den beiden Leitsätzen, diese ergänzt durch die vorstehenden Praxis-Hinweise, entnehmen.
Hinweis
1. Ausländische Künstler werden, wenn sie im Inland auftreten, mit einem pauschalen Abgeltungssteuersatz besteuert. Im Streitjahr 1996 betrug dieser Steuersatz 25 %, und zwar bezogen auf die erzielten Bruttoeinnahmen, vgl. § 50a Abs. 4 Satz 2 EStG 1996. Die hiernach berechnete Steuer ist vom Vergütungsschuldner an der Quelle einzubehalten, anzumelden und abzuführen.
Der EuGH hält diese Zugrundelegung der Bruttoeinnahmen für nicht hinnehmbar. Es gilt, insofern Gleichheit mit Steuerinländern herzustellen und deshalb, BA und WK zu berücksichtigen.
2. Allerdings hält der EuGH den Steuersatz als solchen in seiner Höhe von 25 % für nicht europarechtswidrig, solange bei Anwendung des progressiven Steuertarifs nach Maßgabe der Grundtabelle keine geringere Steuer entsteht. Das ist im Einzelfall nachzurechnen.
Der EuGH räumt dem ausländischen Künstler also nicht den Grundfreibetrag gem. § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG ein. Grund hierfür ist die dem Grundfreibetrag innewohnende soziale Komponente, die dazu führen kann, dass der Steuerausländer besser als der Steuerinländer gestellt wird, weil er ähnliche Vergünstigungen auch in seinem Wohnsitzstaat erhält. Der EuGH grenzt insoweit gegen seine bisherige Rechtsprechung im Fall Asscher (Urteil vom 27.6.1996, Rs. C-107/94, DB 1996, 1604) ab. Soweit das FG Düsseldorf – allerdings bezogen auf den Mindeststeuersatz, denen beschränkt Steuerpflichtige gem. § 50 Abs. 3 Satz 2 EStG unterfallen, jüngst – Gegenteiliges entschieden hat, dürfte dem in der dagegengerichteten Revision I R 34/02 deshalb vermutlich nicht zu folgen sein.
Damit dürfte das Bruttoprinzip jedenfalls innerhalb der EG flächendeckend beseitigt sein, sowohl im Hinblick auf § 50 Abs. 5 Satz 1 EStG als auch im Hinblick auf § 50a Abs. 1 und 3 sowie Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG. Über das DBA-Diskriminierungsverbot des Art. 24 OECD-MA wird Gleiches auch bezogen auf Ansässige in Drittstaaten zu gelten haben (siehe hierzu BFH, Urteil vom 29.1.2003, I R 6/99, BFH-PR 2003, 326).
3. Das Ganze betrifft letztlich nur die Vergangenheit. Gegenwärtig stellt sich die Rechtslage für den gebietsfremden Künstler im Inland weitaus günstiger dar: Er wird zwar immer noch pauschal mit einem Abgeltungssteuersatz besteuert, wenn er im Inland auftritt. Dieser Steuersatz bezieht sich auch immer noch auf die Bruttoeinnahmen. Jedoch ist der Steuersatz – zum Ersten – nach der Höhe der jeweiligen Einnahmen gestaffelt und beträgt ggf. 0 EUR, vgl. § 50a Abs. 4 Sätze 4 und 5 EStG. Zum Zweiten beträgt der Steuersatz für Vergütungen, welche nach dem 31.12. 2002 zufließen, nur noch 20 und nicht mehr 25 % (vgl. § 52 Abs. 58a Satz 2 EStG). Und zum Dritten räumt das Gesetz dem Künstler einen Erstattungsanspruch ein, wenn er nachweist, dass die mit den betreffenden Einnahmen in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang stehenden BA und WK höher sind als die Hälfte der Einnahmen, vgl. § 50 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 EStG.
4. Vor diesem Hintergrund erscheint fraglich, ob sich die Grundsätze des "Gerritse-Urteils" des EuGH schlechthin und über die Verwerfung des Bruttoprinzips hinaus (s. unter 1) auf die "Neuzeit" übertragen lassen. Versucht werden wird dies vermutlich und dies auch mit guten Gründen (so Schmitger, FR 2003, 745; Grams/Molenaar, IStR 2003, 460). Der BFH hat aber erst kürzlich in einem AdV-Beschluss vom 25.11.2002, I B 69/02...